Der Dunkle Turm 7 - Der Turm
das Hirschrudel unter den Bäumen hervorbrach – kein kleines Rudel; es musste aus mindestens achtzehn Tieren unter Führung eines kapitalen Hirschs mit prachtvollem Geweih bestehen –, waren auch ihre Hände wieder ganz ruhig. In ihrer Rechten hielt sie Rolands Revolver mit dem Sandelholzgriff.
Dann tauchte Oy auf, der hinter der letzten Nachzüglerin aus dem Wäldchen gestürmt kam. Sie war eine Mutie-Hirschkuh, die auf vier ungleich langen Beinen lief (das aber unheimlich graziös), während ein nutzloses fünftes Bein wie ein Euter mitten unter ihrem Bauch baumelte. Ganz zuletzt kam Roland, der eigentlich nicht richtig rannte, sondern lediglich in einem angestrengten Trab vorwärts stolperte. Susannah beachtete ihn nicht weiter und behielt den Hirsch im Visier ihres Revolvers, während der kapitale Bursche quer durch ihr Schussfeld lief.
»Hierher«, flüsterte sie. »Mach einen Haken nach rechts, Schätzchen, zeig mir, dass du’s kannst. Commala-come-come.«
Und obwohl der Hirsch an der Spitze des Rudels eigentlich keinen Grund dafür hatte, hielt er nun tatsächlich etwas mehr auf Susannah zu. Jetzt war sie von jener Art Kälte erfüllt, die ihr willkommen war. Ihr Sehvermögen schien unnatürlich scharf zu werden, bis sie die unter der Decke des Hirschs spielenden Muskeln, den weißen Halbmond, als sein Auge rollte, die alte Verletzung am Vorderlauf der nächsten Hirschkuh, wo das Fell nie mehr richtig nachgewachsen war, sehen konnte. Sie hatte einen Augenblick Zeit, sich zu wünschen, Eddie und Jake lägen jetzt neben ihr, fühlten, was sie fühlte, sähen, was sie sah, aber dann war auch das vorüber.
Ich töte nicht mit meiner Waffe; wer mit seiner Waffe tötet, hat das Angesicht seines Waters vergessen.
»Ich töte mit dem Herzen«, murmelte sie und schoss dann.
Die erste Kugel traf den vorweg laufenden Hirsch zwischen die Lichter, worauf er nach links stürzend zusammenbrach. Die anderen Tiere liefen an ihm vorbei. Eine Hirschkuh sprang über ihn hinweg, und Susannahs zweite Kugel traf sie auf dem höchsten Punkt ihres Sprunges, sodass sie tot aufkam, ein Bein abgeknickt und gebrochen, alle Grazie entschwunden.
Sie hörte Roland dreimal schießen, kümmerte sich aber nicht darum, ob er getroffen hatte; sie hatte ihre eigene Arbeit zu erledigen, und sie erledigte sie gut. Jede der restlichen vier Patronen in der Trommel traf einen Hirsch, von denen nur einer sich noch bewegte, als er zusammenbrach. Sie verschwendete keinen Gedanken daran, dass das eigentlich erstaunlich gute Schießleistungen waren, vor allem mit einer Faustfeuerwaffe; sie war schließlich ein Revolvermann, und das hier war ihr Beruf.
Außerdem war es am heutigen Morgen windstill.
Das halbe Rudel lag jetzt tot in der grasigen Senke unter ihr. Die restlichen Tiere drehten bis auf eines scharf nach links ab und flüchteten den Hügel hinunter in Richtung Bach. Im nächsten Augenblick waren sie in der Deckung einiger Weiden verschwunden. Das letzte Tier, ein Jährling, kam genau auf sie zu. Susannah hielt sich nicht erst damit auf, den Revolver mit einer der Patronen nachzuladen, die aufgehäufelt auf einem quadratischen Stück Hirschleder neben ihr lagen. Stattdessen zog sie einen der Orizas heraus, wobei ihre Finger automatisch den stumpfen Griffbereich fanden.
»’Riza!«, rief sie und warf den Teller. Er flitzte mit seinem unheimlichen Heulen übers trockene Gras, stieg dabei etwas an und traf den laufenden Hirsch schließlich mitten am Hals. Blutstropfen, vor dem weißen Himmel ganz schwarz, bildeten eine fliegende Girlande um seinen Kopf. Kein Fleischerbeil hätte sauberere Arbeit leisten können. Der Hirsch lief noch einen Augenblick lang weiter, achtlos und kopflos, während sein jagendes Herz mit dem letzten halben Dutzend Schläge weiter Blut aus dem Halsstumpf pumpte. Dann krachte er kaum zehn Schritte vor ihrem Versteck auf seine gespreizten Vorderläufe herab und färbte das trockene gelbe Gras leuchtend blutrot.
Die Qualen der endlos langen Nacht waren vergessen. Das taube Gefühl in Händen und Füßen war verschwunden. Sie empfand keine Trauer mehr, keinen Verlust, keine Angst. In diesem Augenblick war Susannah genau die Frau, zu der das Ka sie gemacht hatte. Die Mischung aus Pulverdampf und Blutgeruch, die von dem erlegten Hirsch aufstieg, war bitter; zugleich war sie der süßeste Duft der Welt.
Susannah richtete sich auf ihren Beinstümpfen auf, hielt Rolands Revolver weiter mit der rechten Hand umklammert
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