Der Dunkle Turm 7 - Der Turm
notwendigen Tricks zu erlernen. Die einzigen Dinge, die Mordred aus der Nissenhütte mitgenommen hatte, waren eine zerschlissene wattierte Drillichjacke, wie Eisenbahner sie trugen, und ein brauchbares Paar Stiefel gewesen. Dass er die Stiefel gefunden hatte, war wirklich ein glücklicher Zufall gewesen, auch wenn sie sich im weiteren Verlauf der Wanderung ziemlich in ihre Bestandteile aufgelöst hatten.
Wäre er ein Hume – oder auch nur ein gewöhnlicheres Wer-Geschöpf, was das anging – gewesen, wäre Mordred im Ödland gestorben, mit oder ohne Jacke, mit oder ohne Stiefel. Weil er jedoch das war, was er war, hatte er Krähen zu sich gerufen, wenn er hungrig war, und den Krähen war nichts anderes übrig geblieben, als seinem Ruf zu folgen. Die Vögel waren zwar eine erbärmliche Kost, und die Käfer, die er unter den kahlen (und noch immer schwach radioaktiven) Felsen hervorrief, waren noch schlimmer, aber er hatte sie hinuntergewürgt. Eines Tages hatte er einmal mit dem Verstand eines Wiesels Fühlung aufgenommen und es zu sich befohlen. Es war ein mageres, kümmerliches Ding gewesen, selbst bereits dem Hungertod nahe, aber nach den Vögeln und Käfern hatte es wie das beste Steak der Welt geschmeckt. Mordred hatte sich in sein anderes Ich verwandelt, das Wiesel in seine siebenbeinige Umarmung geschlossen und dann ausgesaugt, bis nur noch einige Fetzen Fell übrig waren. Er hätte gern noch ein weiteres Dutzend verspeist, konnte aber nur dieses eine finden.
Und hier stand nun ein ganzer Korb mit Essen vor ihm. Es war gut gealtert, gewiss, aber was war schon dabei? Selbst die Maden besaßen Nährwert. Mehr als genug, um ihn bis in die verschneiten Wälder südwestlich des Schlosses zu tragen, in denen es reichlich Wild geben würde.
Aber zuvor musste er sich des alten Mannes annehmen.
»Rando«, sagte er. »Rando Thoughtful.«
Der Alte fuhr zusammen, murmelte etwas und schlug dann die Augen auf. Einige Sekunden lang starrte er den vor ihm stehenden dürren Jungen völlig verständnislos an. Schließlich überzog Angst seine wässrigen Augen.
»Mordred, Sohn des Los’«, sagte er und versuchte zu lächeln. »Heil Euch, zukünftiger König!« Er machte eine scharrende Bewegung mit den Füßen und schien dann zu merken, dass er saß, was aber nicht sein durfte. Er wollte sich sofort aufrappeln, fiel mit einem Bums zurück, der den Jungen nicht wenig belustigte (Belustigungen waren im Ödland eher selten gewesen, da war diese hier umso mehr zu begrüßen), und versuchte es gleich noch mal. Diesmal gelang es ihm, auf die Beine zu kommen.
»Ich sehe keine Toten außer zwei Burschen, die in einem Alter, das deines sogar noch übersteigt, gestorben zu sein scheinen«, bemerkte Mordred, indem er sich übertrieben gründlich umsah. »Jedenfalls sehe ich keine toten Revolvermänner, weder von der langbeinigen noch von der kurzbeinigen Sorte.«
»Ihr sprecht wahrhaftig – und ich sage Euch meinen Dank, natürlich tue ich das –, aber ich kann alles erklären, Sai, sogar ganz einfach …«
»Ach, warte! Halte deine Erklärung zurück, auch wenn sie gewiss ausgezeichnet ist! Lass mich stattdessen raten! Liegt’s daran, dass Schlangen – lange, dicke Schlangen – den Revolvermann und seine Lady gefesselt haben und du sie unter Bewachung ins Schloss hast bringen lassen?«
»Gnädiger Herr …«
»In diesem Fall«, fuhr Mordred fort, »muss dein Korb gewaltig viele Schlangen enthalten haben, jedenfalls sehe ich noch ganze Mengen hier draußen. Und einige davon scheinen sich offenbar an dem zu laben, was mein Abendessen hätte sein sollen.« Obwohl die abgetrennten, verwesenden Gliedmaßen in dem Korb trotzdem sein Abendessen sein würden – zumindest ein Teil davon –, warf Mordred dem Alten einen vorwurfsvollen Blick zu. »Sind die Revolvermänner also eingesperrt worden?«
Der ängstliche Gesichtsausdruck des Alten verschwand und wurde durch Resignation ersetzt. Das brachte Mordred beinahe zur Raserei. Was er auf dem Gesicht des alten Sai Thoughtful sehen wollte, war nicht Angst und bestimmt nicht Resignation, sondern Hoffnung. Die er ihm rauben würde, wann es ihm gefiel. Seine Gestalt begann zu wabern. Einen Augenblick lang sah der Alte das formlose Dunkel, das unter ihrem Äußeren lauerte, und die vielen Beine. Dann verschwand es, und der Junge war wieder da. Zumindest vorläufig.
Ich will nicht schreiend sterben, dachte der ehemalige Austin Cornwell. Gewährt mir wenigstens das, ihr Götter dort
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