Der Dunkle Turm 7 - Der Turm
und da mit Blitzen und kabbalistischen Symbolen besetzt war. Susannah, Eddie und Jake wäre er wie der Weihnachtsmann vorgekommen. Roland erschien er als das, was er war: eine Ausgeburt der Hölle.
»WIE LANGSAM DU BIST!«, rief der Revolvermann auf spöttische Weise scheinbar erstaunt. »VERSUCH’S MAL MIT DREIEN, VIELLEICHT KLAPPT’S MIT DREIEN!«
Der Blick durchs Fernglas war nicht anders, als sähe man durch ein auf der Seite liegendes magisches Stundenglas. Roland beobachtete, wie der Große Rote König auf und ab sprang und seine hochgereckten Fäuste auf eine Art schüttelte, die fast schon komisch war. Der Revolvermann glaubte, zu Füßen der Gestalt in der Robe eine Holzkiste zu erkennen, war sich dessen aber nicht ganz sicher; die gedrehten Eisenstäbe zwischen Boden und Geländer des Balkons verdeckten sie zum größten Teil.
Das muss sein Munitionsvorrat sein, dachte er. Das muss er sein. Wie viele kann er in einer Kiste dieser Größe haben? Zwanzig? Fünfzig? Aber das spielte keine Rolle. Solange der Rote König es nicht schaffte, mehr als zwölf gleichzeitig zu werfen, war Roland zuversichtlich, alles abschießen zu können, was der alte Dämon gegen ihn einsetzen mochte. Schließlich war das sein Daseinszweck.
Unglücklicherweise wusste der Scharlachrote König das so gut wie Roland.
Das Wesen auf dem Balkon stieß einen weiteren grausigen, ohrenbetäubend lauten Schrei aus (Patrick bohrte sich die schmutzigen Finger in die schmutzigen Ohren) und tat so, als wollte es sich nach neuer Munition bücken. Dann hielt es jedoch inne. Der Revolvermann beobachtete, wie es ans Balkongeländer vortrat … und ihm dann geradewegs in die Augen sah. Sein Blick war rot und glühend. Roland ließ sofort das Fernglas sinken, um nicht hypnotisiert werden zu können.
Die Stimme des Königs drang an sein Ohr. »WARTE ALSO EIN WENIG – UND DENK DARÜBER NACH, WAS DU GEWINNEN WÜRDEST, ROLAND! DENK DARAN, WIE NAHE DU DEINEM ZIEL JETZT BIST! UND … HORCH! HÖRE DAS LIED, DAS DEIN SCHATZ SINGT!«
Dann verstummte er. Kein weiteres Heulen; kein weiteres Pfeifen; keine weiteren anfliegenden Schnaatze. Was Roland stattdessen hörte, war das leise Seufzen des Windes … und was er auf Geheiß des Königs hören sollte.
Den Ruf des Turms.
Komm, Roland, sangen die Stimmen. Sie kamen von den Rosen auf dem Can’-Ka No Rey, sie kamen von den genesenden Balken über ihm, und sie kamen vor allem vom Dunklen Turm selbst, den er sein Leben lang gesucht hatte, der nun greifbar nahe vor ihm stand … der ihm jedoch zumindest vorerst noch vorenthalten wurde. Wenn er sich ihm jetzt weiter näherte, würde er auf dem deckungslosen Feld getötet werden. Trotzdem saß der Ruf wie ein Angelhaken in seinem Kopf, zog ihn unablässig weiter vorwärts. Der Scharlachrote König wusste, dass dieser Haken ihm die Arbeit abnehmen würde, wenn er nur lange genug wartete. Und während die Zeit verging, wurde das auch Roland klar. Weil die Stimmen nicht gleichmäßig waren. Auf dem gegenwärtigen Niveau konnte er ihnen widerstehen. Widerstand ihnen. Aber als der Nachmittag verstrich, wurde der Ruf stärker. Roland begann zu verstehen – und das mit wachsendem Entsetzen –, weshalb er in seinen Träumen und Visionen stets gesehen hatte, wie er den Dunklen Turm bei Sonnenuntergang erreichte, wenn das Licht des westlichen Himmels ein Widerschein des Rosenfeldes zu sein schien und die Welt in einen Eimer voll Blut verwandelte, der von einer einzigen Stütze getragen wurde, die mitternachtsschwarz vor dem brennenden Horizont aufragte.
Er hatte sich bei Sonnenuntergang ankommen sehen, weil dies der Zeitpunkt war, an dem der stärker werdende Ruf des Turms schließlich seine Willenskraft überwältigen würde. Er würde hingehen. Daran würde ihn keine Macht der Welt hindern können.
Aus komm … komm … wurde KOMM … KOMM … und zuletzt KOMM! KOMM! Ihm schmerzte der Kopf davon. Und er sehnte sich gleichzeitig danach. Er merkte immer wieder, wie er sich kniend aufrichtete, und zwang sich dann dazu, sich mit dem Rücken zur Pyramide zurücksinken zu lassen.
Patrick beobachtete ihn zunehmend ängstlich. Der Junge war teilweise oder ganz immun gegen diesen Ruf – darüber war Roland sich im Klaren –, aber er wusste, was zu geschehen drohte.
5
Nach Rolands Schätzung waren sie ungefähr eine Stunde lang festgenagelt gewesen, als der König es mit einem weiteren Paar Schnaatze versuchte. Dieses Mal flogen sie auf beiden Seiten
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