Der Dunkle Turm 7 - Der Turm
gleich darauf im Gesicht traf, glich diesmal einem Tropensturm.
Knapp. Diesmal war’s ganz knapp.
Der Scharlachrote König schrie frustriert auf – »IIIIIIIIIII!« – und diesem Schrei folgte ein vielfaches heranrasendes Pfeifen. Patrick drängte sich mit dem Gesicht nach vorn an die Pyramide. Roland, der die Rose mit seiner blutenden Rechten umklammert hielt, rollte sich auf den Rücken, hob seinen Revolver und wartete darauf, dass die Schnaatze zum Angriff einkurven würden. Als sie das taten, schoss er sie nacheinander ab: Nummer eins und zwei und drei.
»NOCH IMMER DA!«, rief er dem alten Roten König zu. »NOCH IMMER DA, DU ALTER SCHWANZLUTSCHER, WENN’S BELIEBT!«
Der Scharlachrote König stieß einen weiteren grässlichen Schrei aus, setzte aber keine Schnaatze mehr ein.
»DU HAST ALSO JETZT EINE ROSE!«, schrie er. »HÖR IHR ZU, ROLAND! HÖR IHR GUT ZU, SIE SINGT NÄMLICH DAS GLEICHE LIED! HÖR IHR ZU UND COMMALA-COME-COME!«
Dieses Lied beherrschte Rolands Gedanken inzwischen fast vollständig. Es brannte wie Feuer entlang seinen Nervenbahnen. Er packte den Jungen an einer Schulter und riss ihn herum. »Jetzt«, sagte er. »Um meines Lebens willen, Patrick. Um des Lebens jedes Mannes und jeder Frau willen, die jemals an meiner Stelle gestorben sind, damit ich meinen Weg weitergehen konnte.«
Und um des Kindes willen, dachte er. Vor seinem inneren Auge erschien Jake, der erst über einem finsteren Abgrund hing und dann hinunterstürzte.
Roland starrte in die ängstlichen Augen des stummen Jungen. »Stell es fertig! Zeig mir, dass du’s kannst.«
10
Nun wurde Roland Zeuge einer erstaunlichen Tatsache: Als Patrick die Rose entgegennahm, zerschnitten die Dornen ihm nicht die Hand. Er bekam nicht einmal einen Kratzer ab. Roland zog seinen zerfetzten Handschuh mit den Zähnen ab und sah, dass nicht nur die Handfläche tief zerfleischt war, sondern dass auch einer der verbliebenen Finger nur noch an einer einzigen blutigen Sehne hing. Der Finger baumelte kraftlos herab. Aber Patricks Hand wurde nicht zerschnitten. Die Dornen ritzten ihn nicht einmal. Und zudem war das Entsetzen nun aus seinen Augen gewichen. Sein Blick fiel auf die Zeichnung und wechselte dann mit liebevoller Berechnung zwischen Rose und Porträt hin und her.
»ROLAND! WAS MACHST DU? KOMM, REVOLVERMANN, DENN DER SONNENUNTERGANG NAHT!«
O ja, er würde kommen. So oder so. Dieses Bewusstsein erleichterte ihn etwas, machte es ihm möglich, an seinem Platz zu verharren, ohne allzu schlimm zu zittern. Seine Rechte war inzwischen bis zum Handgelenk hinauf gefühllos, und Roland vermutete, dass er sie nie mehr wieder würde spüren können. Aber das war in Ordnung; seit die Monsterhummer sie verstümmelt hatten, war sie ohnehin nicht mehr viel wert gewesen.
Und die Rose sang: Doch, Roland, doch – du bekommst sie zurück. Du wirst wieder ganz. Es wird eine Wiedergeburt geben. Du musst nur kommen.
Patrick zupfte ein Blütenblatt der Rose ab, betrachtete es prüfend und zupfte dann ein zweites ab. Er steckte beide in den Mund. Für einen Augenblick wurde sein Gesicht wie von einer eigenartigen Ekstase schlaff. Roland fragte sich, wie die Blütenblätter wohl schmecken mochten. Der Himmel über ihnen wurde dunkler. Der Schatten der Pyramide, die unter den Steinen verborgen gewesen war, erstreckte sich nun fast bis zur Straße. Sobald die Schattenspitze die Straße, auf der sie angekommen waren, erreichte, würde Roland vermutlich losgehen – unabhängig davon, ob der Scharlachrote König das Vorfeld des Turms weiter beherrschte oder nicht.
»WAS MACHT ER? IIIIIIIII! WELCHE TEUFELEI WIRKT IN DEINEM KOPF UND IN DEINEM HERZEN?«
Du bist mir gerade der Richtige, um von Teufelei zu sprechen, dachte Roland. Er zog seine Taschenuhr heraus und ließ den Deckel aufspringen. Unter dem Saphirglas rasten die Zeiger jetzt rückwärts, von fünf zu vier Uhr, vier zu drei, drei zu zwei, zwei zu eins und eins zu Mitternacht.
»Patrick, beeil dich«, sagte er. »So schnell du kannst, ich bitte dich, meine Zeit ist fast abgelaufen.«
Der Junge hielt sich die hohle Hand unter den Mund und spuckte eine rote Paste von der Farbe frischen Bluts hinein. Die Farbe der Robe des Scharlachroten Königs. Und auch genau die Farbe der Augen des Wahnsinnigen.
Patrick, der im Begriff stand, erstmals in seinem Künstlerleben mit Farbe zu arbeiten, wollte die Spitze des rechten Zeigefingers schon in die Paste tunken, zögerte dann aber. Dabei überkam
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