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Der Dunkle Turm 7 - Der Turm

Titel: Der Dunkle Turm 7 - Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: King Stephen
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Roland eine seltsame Gewissheit: Die Dornen dieser Rosen stachen nur, solange die Pflanze noch durch ihre Wurzeln mit Mim, der Urmutter Erde, verbunden war. Wäre es ihm gelungen, Patrick loszuschicken, damit dieser die Rose holte, hätte Mim diese begnadeten Hände zerschnitten und unbrauchbar gemacht.
    Das Ka ist weiterhin am Werk, dachte der Revolvermann. Selbst hier draußen in Endw …
    Bevor er diesen Gedanken abschließen konnte, ergriff Patrick die rechte Hand des Revolvermanns und starrte mit der Intensität eines Wahrsagers hinein. Er tauchte eine Fingerspitze in das dort fließende Blut und vermischte es mit seiner Rosenpaste. Dann nahm er vorsichtig eine ganz kleine Menge davon auf den rechten Zeigefinger. Er senkte ihn über die Zeichnung … verharrte … sah zu Roland hinüber. Der Revolvermann nickte ihm zu, und Patrick erwiderte sein Nicken mit dem Ernst eines Chirurgen, der vor dem ersten Schnitt einer riskanten Operation stand, und berührte dann mit dem Finger das Papier. Die Fingerspitze tupfte so leicht darauf, wie der Schnabel eines Kolibris in einen Blütenkelch tauchte. Das linke Auge des Scharlachroten Königs wurde also koloriert, dann ging der Finger wieder hoch. Patrick hielt den Kopf leicht schräg und begutachtete sein Werk mit einer Faszination, die Roland in seinem gesamten langen Wanderleben noch auf keinem menschlichen Gesicht gesehen hatte. Es war, als wäre der Junge irgendein Manni-Prophet, dem nach zwanzigjährigem Ausharren in der Wüste endlich ein Blick auf das Antlitz von Gan gegönnt worden war.
    Dann brach er in ein sonniges, strahlendes Lächeln aus.
    Die Antwort vom Dunklen Turm kam rascher und war – zumindest für Roland – unendlich befriedigend. Das auf dem Balkon gefangene alte Geschöpf heulte vor Schmerzen auf.
    »WAS MACHT IHR? IIIIIII! IIIIIIII! AUFHÖREN! DAS BRENNT! BRRRRENNT! IIIIIIIIIIIIIIIIIIII !«
    »Jetzt noch das andere«, sagte Roland. »Schnell! Um deines und meines Lebens willen!«
    Patrick kolorierte auch das rechte Auge mit einem leichten Fingertupfer. Aus seiner Schwarz-Weiß-Zeichnung leuchteten jetzt zwei scharlachrote Augen – Augen, die mit Rosenessenz und dem Blut des Eld koloriert waren; Augen, aus denen das Feuer der Hölle loderte.
    Es war geschafft.
    Nun brachte Roland endlich den Radiergummi zum Vorschein und hielt ihn Patrick hin. »Lass ihn verschwinden«, sagte er. »Lass jenes Scheusal aus dieser Welt und allen anderen verschwinden. Lass es endlich verschwinden.«
     
     
    11
     
    Dass es gelingen würde, stand außer Zweifel. Sobald Patrick seine Zeichnung mit dem Radiergummi berührte – zufällig an der Stelle, wo das Haarbüschel aus dem Nasenloch wucherte –, begann der Scharlachrote König auf seinem festungsartigen Balkon erneut vor Schmerz und Entsetzen zu schreien. Und vor Verstehen.
    Patrick zögerte, sah zu Roland hinüber, wie um sich seinen Auftrag bestätigen zu lassen, und Roland nickte. »Aye, Patrick. Seine Zeit ist gekommen, und du sollst sein Scharfrichter sein. Mach weiter.«
    Der alte König warf noch vier Schnaatze, die Roland aber alle mit ruhiger Gelassenheit vom Himmel holte. Danach warf der König keine mehr, weil er keine Hände mehr hatte, mit denen er sie hätte werfen können. Seine Schreie wurden zu gellenden Jammerlauten, die Roland bestimmt sein Leben lang nicht mehr aus dem Ohr gehen würden.
    Der stumme Junge radierte den Mund mit den vollen, sinnlichen Lippen inmitten des wallenden Barts aus, und während er das tat, wurden die Schreie erst leiser, um dann schließlich ganz zu versiegen. Letztlich radierte Patrick alles bis auf die Augen aus; diese konnte der winzige Radiergummirest nicht einmal verwischen. Sie blieben, bis das kleine Stück rosa Gummi (ursprünglich Bestandteil einer Großpackung Bleistifte, die im August 1958 in Norwich, Connecticut, bei Woolworth als Sonderangebot zum Schulanfang gekauft worden war) zu einem Fetzchen geworden war, das nicht einmal die langen, schmutzigen Fingernägel des Jungen mehr halten konnten. Also warf er es fort und zeigte dem Revolvermann, was übrig geblieben war: zwei bösartige blutrote Augäpfel, die im oberen Drittel des Blatts schwebten.
    Der gesamte Rest war verschwunden.
     
     
    12
     
    Der Schatten der Pyramidenspitze berührte unterdessen die Straße; jetzt verwandelte die Färbung des Himmels im Westen sich vom Orangerot eines Erntefeuers in die eines Kessels Blut, die Roland seit seiner Kindheit in seinen Träumen gesehen hatte.

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