Der Dunkle Turm 7 - Der Turm
die Fundamentale Welt ist, nicht ganz, was macht das schon? Wenn die Co-Op City in Brooklyn (oder sogar in Queens!) liegt und Eddie keinen Buick Electra, sondern einen Takuro Spirit fährt, was ist dabei? Es spielt keine Rolle. Nur etwas anderes würde eine spielen, und diese Frage hält sie zunächst davon ab, den Gasgriff zu drehen, um zu ihm hinüberzurollen.
Was ist, wenn er sie nicht erkennt?
Was ist, wenn er sich umdreht und nichts sieht als eine obdachlose schwarze Lady auf einem Elektrokarren, dessen Akkus bald restlos erschöpft sein werden – eine schwarze Lady ohne Geld, ohne Kleidung, ohne Adresse (nicht in diesem Wo und Wann, sage danke-sai) und ohne Beine? Eine obdachlose schwarze Lady, die in keinerlei Beziehung zu ihm steht? Oder was ist, wenn er sie irgendwo ganz weit im Hintergrund seines Verstandes zwar kennt, aber trotzdem so vollständig verleugnet, wie Petrus einst Christus verleugnet hat, und zwar deshalb, weil die Erinnerung zu schmerzlich ist?
Noch schlimmer: Was ist, wenn er sich ihr zuwendet und sie den ausgebrannten, verwirrten, leeren Blick eines alten Junkies sieht? Was ist, was ist, und hier fällt der Schnee, der bald die ganze Welt in Weiß hüllen wird.
Hör mit deinem Gejammer auf und geh zu ihm, fordert Roland sie auf. Du hast nicht Blaine den Mono und die Taheen des Blauen Himmels und das Ding unter Schloss Discordia überlebt, um jetzt kehrtzumachen und wegzulaufen, oder nicht? Dafür hast du doch viel zu viel Mumm.
Aber sie ist sich dessen nicht ganz sicher, bis sie ihre Hand nach dem Gasgriff greifen sieht. Bevor sie ihn jedoch drehen kann, spricht der Revolvermann nochmals zu ihr – diesmal in leicht amüsiertem Ton.
Gibt’s da nicht vielleicht etwas, was du zuvor loswerden willst, Susannah?
Sie blickt an sich herab und sieht Rolands Revolver in ihrem Schulterriemen stecken wie die pistola eines mexikanischen bandido oder das Entermesser eines Piraten. Sie zieht ihn heraus und staunt darüber, wie gut er sich in ihrer Hand anfühlt … wie auf brutale Weise richtig. Sich von ihm zu trennen, überlegt sie, wird wie der Abschied von einem Geliebten sein. Und sie muss sich nicht von ihm trennen, stimmt’s? Die Frage ist, wen liebt sie mehr? Den Mann oder die Waffe? Alle übrigen Wahlmöglichkeiten werden davon abhängen.
Auf einen Impuls hin klappt sie die Trommel heraus, lässt sie rotieren und stellt fest, dass die Patronen alt aussehen, ihre Hülsen matt.
Mit denen kannst du nicht mehr schießen, denkt sie und fügt in Gedanken hinzu, ohne zu wissen, weshalb … und was der Ausdruck wirklich bedeutet: Das sind Blindgänger.
Susannah sieht durch den Lauf und ist seltsam betrübt – aber nicht überrascht –, als sich zeigt, dass er kein Licht durchlässt. Er ist verstopft. Dem Aussehen nach schon seit Jahrzehnten. Dieser Revolver wird niemals mehr schießen. Also muss sie sich doch nicht entscheiden. Diese Waffe ist unbrauchbar.
Sie hält den Revolver mit Sandelholzgriff in einer Hand, während sie mit der anderen den Gasgriff dreht. Der kleine Elektrokarren – dem sie den Namen Ho Fat III gegeben hat, obgleich diese Tatsache bereits aus ihrem Gedächtnis zu schwinden beginnt – rollt lautlos vorwärts. Sie kommt an einem grünen Abfallkorb vorbei, auf dem in Schablonenschrift HALT DIE WEGE SAUBER ! steht. In diesen Abfallkorb wirft sie Rolands Revolver. Das tut ihr zwar in der Seele weh, aber sie zögert keinen Augenblick. Die schwere Waffe versinkt in den zusammengeknüllten Fastfoodkartons, Werbebeilagen und alten Zeitungen wie ein Stein im Wasser. Sie ist noch immer Revolvermann genug, um bitter zu bereuen, dass sie eine Waffe (auch wenn der Trip zwischen den Welten diese ruiniert hat) mit solcher Vorgeschichte wegwerfen muss, aber sie ist auch schon genug von der Frau, die in der Zukunft auf sie wartet, um nicht innezuhalten oder sich umzusehen, sobald das Werk getan ist.
Bevor sie den Mann mit dem Pappbecher erreichen kann, dreht er sich um. Er trägt tatsächlich ein Sweatshirt mit dem Aufdruck ICH TRINKE NOZZ-A-LA!, aber diese Tatsache nimmt sie kaum wahr. Dass er es ist, das registriert sie. Es ist Edward Cantor Dean. Aber dann wird selbst das unwichtig, weil das, was sie in seinem Blick sieht, genau das ist, was sie befürchtet hat. Was sie darin sieht, ist völlige Verwirrung. Er kennt sie nicht.
Dann lächelt er zögernd, und es ist das Lächeln, an das sie sich erinnert, das sie immer geliebt hat. Außerdem ist er clean, das weiß sie sofort.
Weitere Kostenlose Bücher