Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
Neunzehn war am Ende. Vielleicht bis auf King. Bis auf den Mann, den zu retten sie hergekommen waren. Wie viel von ihrem Schicksal war aus den Spitzen seiner flinken, nikotinfleckigen Finger geflossen? Alles? Ein Teil davon? Das gerade Geschehene?
Unabhängig davon, wie die Antwort lautete, hätte Roland ihn mit bloßen Händen erwürgen können, während der Schriftsteller unter dem Fahrzeug eingeklemmt war, das ihn angefahren hatte – auch wenn King den Van gar nicht gefahren hatte; hätte er das getan, was Ka ihn zu tun bestimmt hatte, wäre er niemals hier gewesen, als dieser Idiot vorbeigerast war, und Jakes Brustkorb würde nicht so grässlich eingesunken aussehen. Das war zu viel, nachdem Eddie erst vor kurzem aus dem Hinterhalt erschossen worden war.
Und dennoch …
»Beweg dich nicht«, sagte er und stand auf. »Oy, pass auf, dass er sich nicht bewegt.«
»Ich werde mich schon nicht bewegen.« Jedes Wort weiterhin klar, weiterhin fest. Aber Roland sah jetzt, dass auch der Saum von Jakes Hemd und der Schritt seiner Jeans mit Blut getränkt war, das dort wie Rosen aufblühte. Er war einmal gestorben und zurückgekehrt. Aber nicht aus dieser Welt. In dieser war der Tod immer endgültig.
Roland wandte sich der Stelle zu, an der der Schriftsteller lag.
2
Als Bryan Smith hinter dem Steuer seines Vans hervorkommen wollte, stieß Irene Tassenbaum ihn grob in den Wagen zurück. Seine Hunde, die vermutlich Blut oder Oy oder beides witterten, kläfften und sprangen hinter ihm wie wild herum. Aus dem Autoradio kam jetzt irgendein neues und völlig höllisches Heavy-Metal-Stück. Sie hatte das Gefühl, ihr müsse gleich der Kopf platzen – nicht wegen des Unfallschocks, sondern von dem bloßen Krach. Sie sah Rolands Revolver auf dem Erdboden liegen und hob ihn auf. Der kleine Teil ihres Verstands, der noch zusammenhängend denken konnte, staunte über das Gewicht der Waffe. Trotzdem zielte sie damit auf den Mann, griff dann an ihm vorbei und schaltete das Radio aus. Sobald das benebelnde Scheppern der Gitarren verstummt war, konnte sie zwitschernde Vögel hören, dazu zwei kläffende Hunde und einen heulenden … nun, einen heulenden Was-immer-er-war.
»Stoßen Sie von dem Mann zurück, den Sie angefahren haben«, sagte sie. »Aber schön langsam. Und wenn Sie dabei den Jungen noch mal überrollen, blase ich Ihnen das Hirn raus, das schwöre ich Ihnen.«
Bryan Smith starrte sie mit blutunterlaufenen, verwirrten Augen an. »Welchen Jungen?«, fragte er.
3
Als das Vorderrad des Minivans langsam von dem Schriftsteller herunterrollte, sah Roland, dass dessen Unterkörper unnatürlich nach rechts verdreht war und ein Klumpen das Jeansbein auf dieser Seite ausbeulte. Bestimmt der Oberschenkelknochen. Außerdem hatte er eine Platzwunde an der Stirn, mit der er an den Felsbrocken geknallt war, und seine rechte Gesichtshälfte war voller Blut. Er sah schlimmer als Jake aus, bei weitem schlimmer, aber ein einziger Blick genügte, um dem Revolvermann zu zeigen, dass er wahrscheinlich überleben würde, wenn sein Herz stark war und der Schock ihn nicht umbrachte. Roland glaubte wieder vor sich zu sehen, wie Jake die Taille des Mannes umfasste, wie er ihn abschirmte und die Aufprallwucht mit dem eigenen kleineren Körper abfing.
»Sie wieder«, sagte King mit leiser Stimme.
»Sie erinnern sich an mich?«
»Ja. Jetzt.« King fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. »Durstig.«
Roland hatte nichts zu trinken dabei, aber hätte ohnehin nicht mehr hergegeben, als ausreichte, um Kings Lippen zu befeuchten. Flüssigkeit konnte bei einem Verletzten zu Erbrechen führen, und an Erbrochenem konnte man ersticken. »Tut mir Leid«, sagte er.
»Nein. Das tut’s Ihnen nicht.« Er leckte sich wieder die Lippen. »Jake?«
»Dort drüben, am Boden. Ihr kennt ihn?«
King versuchte zu lächeln. »Hab ihn geschrieben. Wo ist der andere, mit dem Sie bei mir waren? Wo ist Eddie?«
»Tot«, sagte Roland. »Im Devar-Toi.«
King runzelte die Stirn. »Devar? Das kenne ich nicht.«
»Ja. Deshalb sind wir auch hier. Deshalb mussten wir herkommen. Einer meiner Freunde ist tot, ein zweiter liegt vermutlich im Sterben, und das Tet ist zerbrochen. Alles, weil ein fauler, ängstlicher Mann aufgehört hat, die Arbeit zu tun, für die das Ka ihn bestimmt hat.«
Kein Verkehr auf der Straße. Bis auf die kläffenden Hunde, den heulenden Bumbler und die zwitschernden Vögel war die Welt still. Die Zeit hätte
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