Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
dich. Und du brauchst sie. Lass mich jetzt hier allein. Spar dir deinen Hass für die auf, die ihn mehr verdienen. Ich habe dein Ka nicht mehr gemacht, als ich Gan oder die Welt geschaffen habe, und das wissen wir beide. Lass deine Narretei – und deinen Kummer – hinter dir, und tu eben das, was du auch von mir verlangst.« King erhob die Stimme zu einem rauen Schrei; er ließ die Hand nach vorn schießen und umklammerte Roland damit erstaunlich kräftig am Handgelenk. »Bring die Arbeit zu Ende!«
Als Roland zu antworten versuchte, brachte er zunächst kein Wort heraus. Er musste sich räuspern und noch mal ansetzen. »Schlaft jetzt, Sai – schlaft und vergesst alle hier bis auf den Mann, der euch angefahren hat.«
King schloss die Augen. »Alle hier vergessen bis auf den Mann, der mich angefahren hat.«
»Ihr wart spazieren, und er hat Euch angefahren.«
»Spazieren … und er hat mich angefahren.«
»Sonst war niemand hier. Nicht ich, nicht Jake, nicht die Frau.«
»Sonst niemand«, bestätigte King. »Nur er und ich. Wird er das auch sagen?«
»Yar. Ihr werdet sehr bald tief schlafen. Später werdet Ihr wahrscheinlich Schmerzen haben, aber im Augenblick fühlt Ihr keine.«
»Jetzt keine Schmerzen. Tief schlafen.« Kings verdrehter Leib ruhte schlaff auf den Tannennadeln.
»Aber bevor Ihr schlaft, müsst Ihr mir noch einmal zuhören«, sagte Roland.
»Ich höre.«
»Vielleicht kommt eine Frau zu Euch, um … Wartet! Träumt Ihr manchmal von Liebe mit Männern?«
»Fragt Ihr, ob ich schwul bin? Vielleicht ein latenter Homosexueller?« Kings Stimme klang amüsiert.
»Das weiß ich nicht.« Roland machte eine Pause. »Ich denke schon.«
»Die Antwort lautet Nein«, sagte King. »Manchmal träume ich von Liebe mit Frauen. Etwas weniger, seit ich älter bin … und jetzt wahrscheinlich längere Zeit nicht mehr. Dieser Scheißkerl hat mich echt schwer erwischt.«
Nicht so sehr wie meinen Sohn, dachte Roland erbittert, sagte aber nichts.
»Wenn Ihr nur von Liebe mit Frauen träumt, kommt also vielleicht eine Frau zu Euch.«
»Sagt Ihr das?« Kings Stimme klang leicht interessiert.
»Ja. Und wenn sie kommt, wird es eine sehr schöne Frau sein. Vielleicht spricht sie mit Euch über die Leichtigkeit und das Vergnügen der Lichtung. Sie nennt sich vielleicht Morphia, Tochter des Schlafes, oder Selena, Tochter des Mondes. Sie bietet Euch vielleicht ihren Arm und verspricht, Euch hinzuführen. Ihr müsst sie abweisen.«
»Ich muss sie abweisen.«
»Auch wenn ihre Augen und ihre Brüste Euch in Versuchung führen.«
»Auch dann«, stimmte King zu.
»Warum werdet Ihr sie abweisen, Sai?«
»Weil das Lied nicht fertig ist.«
Endlich war Roland zufrieden. Mrs. Tassenbaum kniete neben Jake. Der Revolvermann beachtete die beiden nicht weiter und ging zu dem Mann, der zusammengesunken am Steuer der Motorkutsche saß, die all den Schaden angerichtet hatte. Die Augen dieses Mannes waren weit aufgerissen und ausdruckslos, der Mund war schlaff geöffnet. Von seinem stoppelbärtigen Kinn hing ein Speichelfaden herab.
»Hört Ihr mich, Sai?«
Der Mann nickte ängstlich. Die Hunde hinter ihm waren verstummt. Vier glänzende Augen beobachteten den Revolvermann aus dem Raum zwischen den Sitzen heraus.
»Wie heißt Ihr?«
»Bryan, wenn’s Euch gefällt … Bryan Smith.«
Nein, das gefiel ihm überhaupt nicht. Hier war noch ein Mann, den er am liebsten erwürgt hätte. Auf der Straße fuhr ein weiteres Auto vorbei, und diesmal hupte der Fahrer oder die Fahrerin, als er oder sie vorbeifuhr. Woraus ihr Schutzschild auch bestehen mochte, er begann dünn zu werden.
»Sai Smith, Ihr habt einen Mann angefahren – mit Eurem Wagen oder Truckomobil oder wie Ihr’s sonst nennt.«
Bryan Smith begann am ganzen Leib zu zittern. »Ich hab noch nie auch nur ’n Strafzettel für Falschparken gekriegt«, jammerte er, »und jetzt muss ich den berühmtesten Mann vom ganzn Staat umfahn! Meine Hunde haben gerauft …«
»Eure Lügen ärgern mich nicht«, sagte Roland, »aber die Angst, aus der sie entstehen, tut es. Schweigt jetzt.«
Bryan Smith hielt wie befohlen den Mund. Aus seinem Gesicht schwand langsam, aber stetig alle Farbe.
»Ihr wart allein, als Ihr ihn angefahren habt«, sagte Roland. »Niemand war hier außer Ihr und der Geschichtenerzähler. Habt Ihr verstanden?«
»Ich war allein. Mister, sind Sie ein Wiedergänger?«
»Was ich bin, geht Euch nichts an. Ihr habt nach ihm gesehen und festgestellt, dass er noch
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