Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
etwas für Leute, die sich nicht entscheiden konnten). Wo ihre Einfahrt von der Straße abzweigt, haben sie auch ein Schild mit dem Namen SUNSET COTTAGE aufgestellt, und was Onkel Sam betrifft, ist das Bestandteil ihrer Postanschrift, aber für die Einheimischen wird dieses Haus am Südende des Sees immer »das alte Cullum-Haus« bleiben.
Sie parkte den Pick-up neben ihrem dunkelroten Benz, ging ins Haus und legte sich dabei schon mal zurecht, wie sie David erklären würde, weshalb sie mit der Karre des hiesigen Ladenbesitzers ankam. Aber das Sunset Cottage summte mit der eigentümlichen Stille, die nur leere Häuser an sich haben; das fiel ihr sofort auf. Im Lauf der Jahre war sie an viele leere Orte zurückgekehrt – zuerst in Apartments, dann in immer größere Häuser. Nicht weil David auf Sauftour oder hinter anderen Frauen her war, Gott behüte! Nein, seine Freunde und er waren meistens in irgendeiner Garage oder Kellerwerkstatt gewesen, hatten schlechten Wein und Billigbier aus dem Getränkemarkt getrunken und das Internet und all die Software entwickelt, die es erst benutzerfreundlich machte. Der Profit, auch wenn das die meisten nicht glauben wollten, war nur ein Nebeneffekt gewesen. Diese Stille, in die ihre Frauen oft zurückkamen, war ebenfalls einer. Nach längerer Zeit setzte einem diese summende Stille irgendwie zu, machte einen wütend, aber nicht heute. Heute war sie entzückt, dass das Haus ihr allein gehörte.
Wirst du mit Marshall Dillon ins Bett steigen, wenn er dich will?
Das war keine Frage, über die sie auch nur nachzudenken brauchte. Die Antwort lautete Ja, natürlich würde sie mit ihm schlafen, wenn er sie wollte: in der Seitenlage, von hinten, auf allen vieren oder in der Missionarsstellung, wenn er daran sein Vergnügen fand. Aber er würde nicht mit ihr schlafen wollen, selbst wenn er nicht um seinen jungen
(Sai? Sohn?)
Freund getrauert hätte; er würde sie nicht wollen: sie mit ihren Falten, sie mit ihrem an den Wurzeln ergrauenden Haar, sie mit dem Rettungsring, den ihre Designerklamotten nicht ganz verbergen konnten. Allein die Vorstellung war lächerlich.
Trotzdem: Wenn er sie wollte, würde sie’s tun.
Sie sah am Kühlschrank nach und entdeckte unter einem der bunten Magneten, mit denen die Tür übersät war ( WIR SIND POSITRONICS, BAUEN DIE ZUKUNFT CHIP FÜR CHIP stand darauf), eine kurze Nachricht.
Ree,
du wolltest, dass ich mich entspanne, also tue ich’s (verdammt noch mal!). D. h, ich bin mit Sonny Emerson beim Angeln – am annern Ende vom See, haja, haja. Komme erst gegen 7 Uhr zurück, wenn die Mücken nicht zu schlimm sind. Nimmst du ihn aus & kochst ihn, wenn ich einen Barsch mitbringe? D.
PS: Drüben im Laden geht irgendwas vor, das drei Streifenwagen wert ist. Vielleicht WIEDERGÄNGER???? ☺ Wenn du was hörst, kannst du’s mir ja später verklickern.
Sie hatte ihm erzählt, dass sie nachmittags in den Laden hinüberfahren würde – wegen Eiern und Milch, die sie natürlich nie gekauft hatte –, und er hatte genickt. Ja, Schatz, ja, Schatz. Aber aus seiner Nachricht sprach nicht die geringste Besorgnis, keine Andeutung davon, dass er sich daran erinnerte, was sie gesagt hatte. Nun, was erwartete sie eigentlich? Bei David kamen unwichtige Informationen durch Ohr A herein und gingen durch Ohr B wieder hinaus. Willkommen in der Welt der Genies!
Sie drehte den Zettel um, zog einen Filzschreiber aus dem Kaffeebecher, in dem sie standen, zögerte kurz und schrieb dann:
David,
etwas ist passiert, und ich muss für einige Zeit fort. Mindestens für 2, vielleicht auch für 3 bis 4 Tage. Mach dir bitte keine Sorgen um mich und ruf niemanden an. VOR ALLEM NICHT DIE POLIZEI. Es geht wieder mal um ein streunendes Tier.
Würde er das verstehen? Sie glaubte, dass er sich vielleicht daran erinnern konnte, wo sie sich kennen gelernt hatten. Das war beim Tierschutzverein Santa Monica gewesen, zwischen den übereinander aufgestapelten Tierkäfigen im rückwärtigen Teil: Liebe blüht bei Kötergekläff. Das klang weiß Gott wie James Joyce, wie sie fand. Er hatte einen streunenden Hund abgeliefert, den er in der Nähe des Apartments, in dem er mit einem halben Dutzend Eierkopf-Freunden wohnte, auf der Straße aufgelesen hatte. Sie war auf der Suche nach einem Kätzchen gewesen, das ihr im Prinzip ohne Freunde geführtes Leben aufheitern sollte. Er hatte damals noch volles Haar gehabt. Was sie anging, hatte sie Frauen, die sich ihres
Weitere Kostenlose Bücher