Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
Schriftstellers gemäht hatte.
»Später genügt«, sagte er. »Aber du musst jetzt fort. Und solltest du aus irgendeinem Grund nicht zurückkommen können oder wollen, nehme ich dir das nicht übel.«
»Wohin würden Sie denn allein wollen?«, fragte sie ihn. »Wüssten Sie überhaupt, wohin Sie müssen? Das hier ist nicht Ihre Welt, oder doch?«
Roland ignorierte die Frage. »Wenn hier noch Leute sind, wenn du zurückkommst – Friedenswächter, Gesetzeshüter, Blauröcke, was weiß ich –, fährst du, ohne anzuhalten, einfach weiter. Komm eine halbe Stunde darauf zurück. Sind dann noch immer Leute da, fahr wieder weiter. Und so fort, bis endlich niemand mehr hier ist.«
»Wird denen mein Hin-und-her-Fahren nicht auffallen?«
»Das weiß ich nicht«, sagte er. »Wird’s das?«
Sie überlegte, dann lächelte sie leicht. »Den Gesetzeshütern in diesem Teil der Welt? Vermutlich nicht.«
Er nickte, akzeptierte ihre Einschätzung. »Halte also an, wenn es dir als sicher erscheint. Du wirst mich nicht sehen, aber ich werde dich sehen. Ich warte bis Einbruch der Dunkelheit. Bist du bis dahin nicht zurück, breche ich auf.«
»Ich hole Sie ab, allerdings komme ich dann nicht mit diesem armseligen Pick-up«, sagte sie. »Dann fahre ich einen Mercedes.« Das sagte sie mit einem gewissen Stolz.
Roland hatte keine Ahnung, was ein März-Hedes war, aber er nickte, als hätte er eine. »Also los. Wir reden miteinander, wenn du zurückkommst.«
Falls du zurückkommst, dachte er.
»Ich glaube, den wollen Sie wieder«, sagte sie und steckte ihm den Revolver ins Holster zurück.
»Danke-sai.«
»Bitte sehr.«
Er beobachtete, wie sie zu dem alten Pick-up zurückging (den sie seiner Meinung nach trotz ihrer herabsetzenden Worte fast zu lieben gelernt hatte) und sich am Lenkrad hochzog. Und als sie das tat, erkannte er, dass er etwas brauchte, das vielleicht auf der Ladefläche des Wagens liegen würde. »Brrr!«
Mrs. Tassenbaum hatte bereits nach dem Zündschlüssel gegriffen. Jetzt nahm sie die Hand weg und sah Roland an. Er ließ Jake sanft auf die Erde sinken, in der er bald ruhen würde (dieser Gedanke hatte ihn dazu bewogen, sie aufzuhalten) und stand auf. Er verzog das Gesicht und legte die Hand auf die Hüfte, allerdings nur aus alter Gewohnheit. Die Schmerzen waren weg.
»Was?«, fragte sie, als er an den Wagen trat. »Wenn ich nicht bald fahre …«
Roland nickte. »Ja, ich weiß.«
Er warf einen Blick auf die Ladefläche. Zwischen achtlos verstreutem Werkzeug sah er unter einer blauen Plane etwas Quadratförmiges. Die Ecken der Plane waren unter den Gegenstand geschoben, damit sie nicht weggeblasen werden konnte. Als Roland die Plane wegzog, kamen darunter mindestens acht Kisten aus jenem steifen Papier zum Vorschein, das Eddie »Karton« genannt hatte. Sie waren zusammengeschoben worden, um den Würfel zu bilden. Die aufgedruckten Bilder zeigten, dass sie Bierdosen enthielten. Aber ihm war es auch einerlei gewesen, wenn die Kartons Sprengstoff enthalten hätten.
Er wollte nur die Plane.
Roland trat mit ihr in den Armen von dem Wagen zurück und sagte: »Jetzt kannst du fahren.«
Sie griff wieder nach dem Schlüssel, mit dem der Motor angelassen wurde, drehte ihn aber nicht gleich nach rechts. »Sir«, sagte sie, »mein Beileid zu Ihrem Verlust. Das wollte ich Ihnen nur sagen. Ich sehe sehr gut, was der Junge Ihnen bedeutet hat.«
Roland Deschain senkte den Kopf, ohne etwas zu sagen.
Irene Tassenbaum sah ihn noch einen Augenblick länger an, erinnerte sich daran, dass Worte manchmal nutzlos waren, ließ dann den Motor an und knallte ihre Tür zu. Er beobachtete, wie sie in einer engen Kurve auf die Straße hinauslenkte (die Kupplung gebrauchte sie inzwischen reibungslos), um nach Norden in Richtung East Stoneham zurückzufahren.
Mein Beileid zu Ihrem Verlust.
Und jetzt war er mit diesem Verlust allein. Mit Jake allein. Roland betrachtete einen Augenblick lang das Tannenwäldchen neben der Straße, dann sah er zwei der drei Personen an, die das Ka hierher geführt hatte: einen Mann, bewusstlos, und einen Jungen, tot. Rolands Augen waren trocken und heiß; sie pochten so in ihren Höhlen, dass er schon fürchtete, die Fähigkeit zu weinen erneut verloren zu haben. Diese Vorstellung erschreckte ihn. Welchen Wert hatte das alles, wenn er nicht einmal jetzt – nach allem, was er wiedergewonnen und nochmals verloren hatte – weinen konnte? Weshalb es eine ungeheure Erleichterung war, als die Tränen
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