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Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Titel: Der dunkle Turm - Gesamtausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Nicht-Hund, der Oy … auch er weinte.
     
     

14
     
    Sie fuhr kurz nach der Staatsgrenze von Massachusetts von der I-95 ab und nahm für sie in einem schäbigen Motel, das sich Sea Breeze Inn nannte, zwei Zimmer nebeneinander. Sie hatte nicht daran gedacht, ihre Autobrille mitzunehmen, die sie ihre Käferarschloch-Brille nannte (wie in »wenn ich diese Brille trage, kann ich bis ins Arschloch eines Käfers sehen«), und fuhr ohnehin nicht gern nachts. Nachtfahrten – mit und ohne Käferarschloch-Brille – zerrten an ihren Nerven und konnten ihre Migräne auslösen. Mit einer Migräne hätte sie keinem von beiden nutzen können, und ihr Migränemittel lag nutzlos im Medizinschränkchen ihres Hauses in East Stoneham.
    »Außerdem«, hatte sie Roland erklärt, »wenn diese Tet Corporation, zu der Sie wollen, in einem Bürogebäude untergebracht ist, kommen Sie ohnehin nicht vor Montagmorgen hinein.« Obwohl das vermutlich nicht stimmte; Roland war die Art Mann, die überall hineinkam. Man konnte ihm einfach nirgends den Zutritt verwehren. Wahrscheinlich lag darin ein Teil der Anziehungskraft, die er für einen bestimmten Frauentyp besitzen musste.
    Jedenfalls hatte er nichts gegen das Motel einzuwenden. Nein, er wolle aber nicht mit ihr zum Abendessen gehen, weshalb sie schließlich den nächsten erträglichen Schnellimbiss ansteuerte und mit einem späten Abendessen von Kentucky Fried Chicken zurückkam. Sie aßen in Rolands Zimmer. Irene machte Oy unaufgefordert einen Teller zurecht. Oy fraß ein einziges Stück Huhn, das er manierlich zwischen den Pfoten hielt, ging dann ins Bad und schien auf der Badematte vor der Wanne einzuschlafen.
    »Wieso heißt das hier Sea Breeze?«, fragte Roland. Anders als Oy aß er von allem etwas, aber er tat es, ohne Freude erkennen zu lassen. Er aß wie ein Mann, der damit eine Arbeit verrichtet. »Ich kann das Meer nicht riechen.«
    »Na ja, wahrscheinlich kann man das, wenn der Wind aus der richtigen Richtung kommt und mit Orkanstärke weht«, sagte sie. »So was nennt man dichterische Freiheit, Roland.«
    Er nickte und bewies damit unerwartetes (zumindest für sie) Verständnis. »Nette Lügen.«
    »Ja, so könnte man’s auch nennen.«
    Sie stellte den Fernseher an, weil sie glaubte, das könnte ihn ablenken, war dann aber von seiner Reaktion ziemlich schockiert (obwohl sie sich einzureden versuchte, sie sei amüsiert). Als Roland sagte, er könne es nicht sehen, hatte sie keine Ahnung, wie sie das auffassen sollte; ihr erster Gedanke war, dass es sich um eine indirekte und schrecklich intellektuelle Kritik an dem Medium selbst handelte. Dann dachte sie, er spräche (auf ebenso indirekte Weise) von seinem Kummer, seinem Zustand der Trauer. Erst als er ihr erklärte, er höre Stimmen, ja, aber sehe nur Zeilen, die seine Augen tränen ließen, wurde ihr klar, dass er die reine Wahrheit sagte: Er konnte die Bilder auf dem Fernsehschirm nicht erkennen. Nicht die Wiederholung von Roseanne, nicht den Infowerbespot für Ab-Flex, nicht die sprechenden Köpfe in den Lokalnachrichten. Sie ließ den Fernseher eingeschaltet, bis die Story über Stephen King kam (mit dem Rettungshubschrauber ins Central Maine General Hospital in Lewiston geflogen, wo eine Operation am frühen Abend sein rechtes Bein gerettet zu haben schien – sein Zustand den Umständen entsprechend, weitere Operationen erforderlich, der Weg zur Genesung voraussichtlich lang und ungewiss), dann schaltete sie ihn aus.
    Sie sammelte die Abfälle ein – von KFC-Mahlzeiten schien irgendwie immer so viel mehr übrig zu bleiben –, wünschte Roland unsicher eine gute Nacht (die er auf eine geistesabwesende Ich-bin-nicht-wirklich-hier-Art erwiderte, die sie nervös und traurig machte) und ging dann nach nebenan in ihr Zimmer. Dort sah sie sich eine Stunde lang einen alten Film an, in dem Yul Brynner einen Robotercowboy spielte, der Amok lief, bevor sie den Fernseher ausschaltete und ins Bad ging, um sich die Zähne zu putzen. Dort merkte sie, dass sie – natürlich, Dummerchen! – ihre Zahnbürste vergessen hatte. Sie tat ihr Bestes mit dem Zeigefinger als Zahnbürstenersatz, dann streckte sie sich in Slip und BH (auch kein Nachthemd dabei) auf dem Bett aus. So verbrachte sie eine weitere Stunde in dem Bewusstsein, dass sie auf Geräusche von jenseits der papierdünnen Wand lauschte – vor allem auf ein Geräusch: das Krachen des Revolvers, den er auf dem Weg vom Auto ins Motelzimmer rücksichtsvollerweise nicht offen im

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