Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
Unterhaltung hören.
»Glaubst du, dass diese Dinger essbar wären?«, fragte Susannah den Revolvermann einmal. Der Mond war zu einer schmalen Sichel geworden, und sie waren wieder tagsüber unterwegs, um potenzielle Gefahren rechtzeitig erkennen zu können (an mehreren Stellen war der Weg von tiefen Spalten durchzogen, und einmal mussten sie einen Erosionstrichter umgehen, der bodenlos zu sein schien).
»Was glaubst du?«, fragte Roland zurück.
»Wahrscheinlich nicht, aber ich hätte nichts dagegen, mal einen zu probieren, um es rauszukriegen.« Sie hielt ganz kurz inne. »Wovon leben die deiner Meinung nach?«
Roland wiegte nur den Kopf.
An der hiesigen Stelle schlängelte sich der Weg durch einen phantastischen versteinerten Garten aus nadelspitzen Felsformationen. In einiger Entfernung kreisten über hundert jener schwarzen Krähenvögel um einen flachen Tafelberg oder saßen an dessen Abbruch und blickten wie knopfäugige Geschworene zu Roland und Susannah hinüber.
»Vielleicht sollten wir ja einen Umweg machen«, sagte sie. »Zusehen, ob wir’s irgendwie rauskriegen können.«
»Wenn wir vom Weg abweichen, finden wir ihn vielleicht nicht wieder«, sagte Roland.
»Bockmist! Oy könnte …«
»Susannah, ich will nichts mehr davon hören!« Er sprach in einem derart ärgerlichen Ton, den sie bisher an ihm nicht kannte. Ärgerlich, das ja, sie hatte Roland schon oft ärgerlich erlebt. Aber hier schwangen eine Kleinlichkeit, eine Übellaunigkeit mit, die ihr Sorgen machten. Und die sie auch etwas ängstigten.
In der folgenden halben Stunde schwiegen sie beide. Roland zog Ho Fats Luxustaxi, auf dem Susannah saß. Dann stieg der schmale Weg (die Ödland-Prachtstraße, wie Susannah sie insgeheim nannte) steil an, und sie sprang ab, schloss zu Roland auf und hielt dann möglichst mit ihm Schritt. Für solche Ausflüge hatte sie sein T-Shirt mit dem Old-Home-Days-Aufdruck in zwei Teile zerrissen, die sie sich dann um die Hände wickelte. Der Stoff schützte sie vor scharfkantigen Steinen und wärmte auch die Finger, zumindest ein wenig.
Er blickte auf sie hinab, dann wieder auf den Weg, der vor ihnen lag. Er hatte die Unterlippe leicht vorgeschoben, und Susannah dachte, dass Roland bestimmt nicht wusste, wie absurd trotzig dieser Ausdruck war – wie der eines Dreijährigen, der nicht mit an den Strand durfte. Er konnte es nicht wissen, und sie würde es ihm nicht sagen. Vielleicht später, wenn sie sich an diesen Albtraum erinnern und darüber lachen konnten. Wenn sie nicht mehr genau wissen würden, was so schrecklich an einer Nacht war, in der die Temperatur fünf Grad betrug und man auf dem kalten Boden zitternd wach lag, einzelne Sternschnuppen ihre nicht wärmende Feuerspur über den Himmel ziehen sah und unaufhörlich dachte: Nur einen Pullover, mehr brauchte ich gar nicht. Nur einen Pullover, dann würde ich froh wie ein Papagei zur Fütterungszeit mitwandern. Und sich überlegte, ob Oys Pelz für warme Unterhosen für sie beide ausreichen würde und ob man dem armen kleinen Kerl damit nicht sogar einen Gefallen täte, wenn man ihn umbrächte; schließlich war er so traurig, seit Jake die Lichtung betreten hatte.
»Susannah«, sagte Roland, »ich habe dich vorhin angefahren und erflehe daher deine Verzeihung.«
»Nicht nötig«, wehrte sie ab.
»Doch, ich glaube schon. Wir haben auch so genügend Schwierigkeiten, da sollten wir nicht noch Schwierigkeiten zwischen uns schaffen. Da sollten wir nicht Verstimmungen zwischen uns aufkommen lassen.«
Sie schwieg. Blickte zu ihm auf, während er nach Südosten sah, um die kreisenden Vögel zu beobachten.
»Diese Krähen«, sagte er.
Sie schwieg weiter, wartete.
»In meiner Kindheit haben wir sie manchmal Schwarze Vögel von Gan genannt. Ich habe Eddie und dir erzählt, wie mein Freund Cuthbert und ich Brot für die Vögel ausgelegt haben, nachdem der Koch gehenkt worden war, oder?«
»Ja.«
»Das waren genau solche Vögel. Bei manchen haben sie Schlosskrähen geheißen. Aber nie Königskrähen, weil sie nämlich Aasfresser waren. Du hast gefragt, wovon diese Vögel leben. Es könnte sein, dass sie ihr Fressen auf den Höfen und Gassen seines Schlosses suchen, seit er nicht mehr dort residiert.«
»Le Casse Roi Russe oder Roi Rouge oder wie du’s nennst.«
»Aye. Ich kann es nicht mit Sicherheit sagen, aber …«
Roland sprach nicht weiter, aber das war auch nicht notwendig. Danach behielt Susannah die Vögel im Auge und stellte fest, dass sie
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