Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
einfach. Wann eine Minute vorbei ist – oder eine Stunde.«
»Red kein’ Stuss!«, sagte sie. »Du hast geraten!«
»Hätte ich dann nach genau einer Umdrehung des Zeigers gesprochen?«
»Vielleicht war’s bloß Dusel«, sagte Detta und betrachtete ihn gewitzt, wobei sie ein Auge beinahe, aber nicht ganz schloss, eine Mimik, die Roland nicht ausstehen konnte. (Aber das würde er ihr nie sagen; er wusste, dass Detta ihn sonst bei den Gelegenheiten, bei denen sie sich zeigte, nur damit gepiesackt hätte.)
»Willst du’s noch mal versuchen?«, fragte er.
»Nein«, sagte Susannah und seufzte. »Ich glaube dir, dass deine Uhr exakt richtig geht. Was wiederum bedeutet, dass wir dem Dunklen Turm nicht nahe sind. Noch nicht.«
»Vielleicht nicht so nahe, dass er meine Uhr beeinflussen kann, aber näher, als ich ihm jemals gewesen bin«, sagte Roland ruhig. »Wir sind praktisch bereits in seinem Schatten. Glaub mir, Susannah – ich spreche wahrhaftig.«
»Aber …«
Über ihnen war ein Krächzen zu hören, das rau und zugleich eigenartig gedämpft klang: Kruu, kruu! statt kräh, kräh! Susannah hob den Kopf und sah einen der riesigen schwarzen Vögel, die Roland als Schlosskrähen bezeichnete, so tief über sie hinwegfliegen, dass sie die angestrengten Flügelschläge hören konnten. In seinem langen Hakenschnabel trug er einen schlaffen Strang von etwas Gelbgrünem. Susannah erschien es wie ein Stück welker Seetang. Nur nicht ganz verwelkt.
Sie wandte sich Roland zu und sah ihn aufgeregt an.
Er nickte. »Teufelsgras. Wahrscheinlich bringt der Vogel es mit, um das Nest seiner Gefährtin damit zu polstern. Bestimmt nicht als Futter für die Kleinen. Nicht dieses Zeug. Aber Teufelsgras sieht man immer als Letztes, wenn man in Nichtlande geht, und immer als Erstes, wenn man herauskommt, so wie wir’s jetzt tun. Wie wir es endlich tun. Hör mich jetzt an, Susannah, ich möchte, dass du mir zuhörst und diese lästige Schlampe Detta in den hintersten Winkel deiner Gedanken verbannst. Zudem möchte ich nicht, dass du meine Zeit damit vergeudest, etwa zu behaupten, sie sei nicht da, wo ich sie doch in deinen Augen die Commala tanzen sehen kann.«
Susannah wirkte überrascht, dann etwas eingeschnappt, so als wollte sie gleich widersprechen. Aber schließlich sah sie weg, ohne ein Wort zu sagen. Als sie ihn wieder ansah, konnte sie die Gegenwart »dieser lästigen Schlampe«, wie Roland sie genannt hatte, nicht mehr spüren. Und Roland schien sie ebenfalls nicht mehr wahrzunehmen, jedenfalls sprach er nun weiter.
»Ich glaube, dass es bald so aussehen wird, als kämen wir aus dem Ödland heraus, aber du wärst gut beraten, dem Augenschein nicht zu trauen – ein paar Häuser und vielleicht etwas Straßenpflaster garantieren weder Sicherheit noch Zivilisation. Und es wird nicht mehr lange dauern, bis wir sein Schloss – Le Casse Roi Russe – erreichen. Der Scharlachrote König hält sich höchstwahrscheinlich nicht mehr dort auf, aber er könnte eine Falle für uns hinterlassen haben. Ich möchte, dass du Augen und Ohren offen hältst. Sollte es etwas zu reden geben, möchte ich, dass du das mir überlässt.«
»Was weißt du, was ich nicht weiß?«, fragte sie. »Was hältst du zurück?«
»Nichts«, sagte er (mit für ihn seltener Ernsthaftigkeit). »Das ist nur ein Gefühl, Susannah. Wir sind unserem Ziel jetzt nahe, unabhängig davon, was die Uhr anzeigen mag. Kurz davor, uns den Weg zum Dunklen Turm zu erschließen. Aber mein alter Lehrer Vannay hat immer gesagt, es gebe nur eine Regel ohne Ausnahme: Vor dem Sieg kommt die Versuchung. Und je größer der Sieg ist, den es zu erringen gilt, desto größer ist die Versuchung, der man widerstehen muss.«
Susannah fröstelte und schlang sich die Arme um den Oberkörper. »Ich möchte es nur warm haben«, sagte sie. »Wenn mir niemand eine große Ladung Brennholz und eine Flanellhemdhose dafür bietet, dass ich dem Turm entsage, können wir wohl noch eine Zeit lang durchhalten.«
Roland kam eine von Corts gewichtigsten Maximen in den Sinn – Niemals das Schlimmste laut aussprechen! –, hielt aber den Mund, zumindest in Bezug auf dieses Thema. Er steckte die Uhr wieder sorgfältig ein und erhob sich dann, bereit zum Aufbruch.
Aber Susannah zögerte noch. »Ich habe von dem anderen geträumt«, sagte sie. Von wem sie sprach, brauchte sie nicht zu sagen. »Drei Nächte hintereinander, wie er unserer Fährte nachhastet. Glaubst du, dass er wirklich da ist?«
»O
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