Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
ja«, sagte Roland. »Und irgendwie hat er einen leeren Bauch.«
»Hongrig, Mordred sein hongrig«, murmelte sie. Auch diese Worte hatte sie im Traum gehört.
Susannah fröstelte wieder.
7
Der Weg, dem sie folgten, wurde breiter, und an diesem Nachmittag zeigten sich auf seiner Oberfläche auch die ersten schäbigen Steinplatten einer ehemaligen Pflasterung. Er wurde zunehmend noch breiter, und nicht lange vor Einbruch der Dunkelheit erreichten sie eine Stelle, wo ein weiterer Weg (der im Lange-Her bestimmt eine Straße gewesen war) sich mit ihm vereinigte. Hier stand eine rostige Eisenstange, die früher vermutlich ein Straßenschild getragen hatte, das jedoch verschwunden war. Am nächsten Tag stießen sie auf das erste Gebäude diesseits von Fedic: eine eingefallene Ruine mit den Überresten einer Veranda, auf der ein umgedrehtes Schild lag. Hinter dem Haus war eine zusammengesackte Scheune zu sehen. Susannah drehte das Schild mit Rolands Hilfe um, und sie konnten darauf ein Wort entziffern: MIETSTALL . Darunter war wieder das ihnen so unheimlich vertraute rote Auge aufgemalt.
»Ich glaube, unser Weg war früher die Poststraße zwischen Schloss Discordia und Le Casse Roi Russe«, sagte er. »Das ergäbe Sinn.«
Sie zogen an weiteren Gebäuden, weiteren einmündenden Straßen vorbei. Es handelte sich hier um den Außenbezirk eines Dorfs oder einer Kleinstadt, vielleicht sogar einer richtigen Stadt, die einst das Schloss des Scharlachroten Königs umgeben hatte. Aber im Gegensatz zu Lud war von ihr nur sehr wenig übrig geblieben. In der Umgebung einiger Ruinen wuchs Teufelsgras in trübseligen Büscheln, aber dazwischen regte sich kein Leben. Die Kälte war schneidender als je zuvor. In der vierten Nacht nachdem sie die Krähen gesichtet hatten, wollten sie in den noch stehenden Überresten eines Hauses übernachten, konnten beide diesmal jedoch flüsternde Stimmen in den Schatten hören. Roland bestimmte sie – mit einer Nüchternheit, die Susannah unheimlich erschien – als die Stimmen von Gespenstern oder »Hausgeistern«, wie er sie nannte, und schlug vor, auf die Straße zurückzukehren.
»Ich glaube nicht, dass sie uns schaden können, aber sie könnten dem kleinen Kerl wehtun«, sagte Roland und streichelte Oy, der ihm mit einer Ängstlichkeit, die seiner sonstigen Art völlig widersprach, auf den Schoß gesprungen war.
Mit einem Rückzug war Susannah nur allzu gern einverstanden. Das Gebäude, in dem sie hatten kampieren wollen, strahlte eine Frostigkeit aus, die sie als noch schlimmer denn wirkliche Kälte empfand. Diese Wesen, die sie dort hatte flüstern hören, mochten uralt sein, aber sie waren anscheinend noch immer hungrig. Und so drängten die drei sich wieder wärmesuchend neben Ho Fats Luxustaxi mitten auf der Ödland-Prachtstraße aneinander und warteten darauf, dass die Temperatur mit Sonnenaufgang um ein paar Grad anstieg. Sie versuchten, mit Holz aus einem der eingestürzten Gebäude Feuer zu machen, schafften es aber nur, eine doppelte Hand voll Sterno zu vergeuden. Der Brennstoff verlief sich zwischen dem Holz des zerbrochenen Stuhls, den sie als Anmachholz hatten verwenden wollen, flammte kurz auf und ging dann aus. Das Holz wollte einfach nicht brennen.
»Warum?«, fragte Susannah, während sie beobachtete, wie die letzten Rauchfetzen sich auflösten. »Warum?«
»Überrascht dich das, Susannah von New York?«
»Nein, aber ich möchte den Grund dafür wissen. Ist es zu alt? Versteinert oder irgendwas?«
»Es brennt nicht, weil es uns hasst«, sagte Roland, als hätte das auch für sie auf der Hand liegen müssen. »Das hier ist sein Land, noch immer seines, obwohl er weitergezogen ist. Hier hasst uns alles. Aber … pass auf, Susannah. Was hältst du davon, wenn wir wieder nachts marschieren, da wir jetzt auf einer richtigen Straße sind, die überwiegend gepflastert ist? Willst du’s versuchen?«
»Klar«, sagte sie. »Alles dürfte besser sein, als auf der Straße zu liegen und vor Kälte zu bibbern wie ein Kätzchen, das gerade ins Wasserfass getunkt worden ist.«
Und so verfuhren sie dann auch – für den Rest dieser ersten Nacht und in den beiden folgenden Nächten. Susannah dachte sich oft: Ich werde bestimmt krank, so kann ich nicht weitermachen, ohne mir irgendwas zu holen, aber dazu kam es nie. Sie wurden beide nie krank. Lästig war nur der Pickel links neben ihrer Unterlippe, der manchmal aufplatzte und etwas blutete, bevor er sich wieder schloss
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