Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
aufsperrte und so weit wie möglich aufzog (sie hatte keine Angeln), hob Patrick Danville wieder damit an, jene Vogellaute von sich zu geben, diesmal jedoch lauter: EI-JIE! EI-JAUK! I-JIIIIIE! Susannah biss die Zähne zusammen. Als Roland sich jetzt anschickte, die Zelle zu betreten, stieß der Junge einen noch lauteren Schrei aus und begann, mit dem Hinterkopf gegen die Steine zu schlagen. Roland trat zwei Schritte zurück. Das grausige Kopfanschlagen hörte auf, aber Danville starrte den Fremden ängstlich und misstrauisch an. Dann streckte er die Hände mit den langen Fingernägeln wieder wie um Hilfe flehend aus.
Roland sah zu Susannah hinüber.
Sie stemmte sich mit den Händen hoch, um an die Zellentür zu gelangen. Das ausgezehrte Jungen-Wesen in der Ecke stieß abermals seinen unheimlichen Vogelschrei aus, zog die flehend ausgestreckten Hände zurück, legte sie an den Handgelenken übereinander und verwandelte die Geste auf diese Weise in einen mitleiderregenden Verteidigungsversuch.
»Nein, Schätzchen.« Das war eine Detta Walker, die Susannah noch nie gehört hatte, deren Existenz sie nicht einmal vermutet hatte. »Nein, Schätzchen, ich tu dir nix, hätt ich das tun wollen, hätt ich dir einfach zwei Kugeln in den Kopf gejagt, wie ich’s mit dem Motherfucker da oben gemacht hab.«
Sie sah etwas in seinen Augen – vielleicht nur, dass sie sich kaum merklich weiteten, sodass das blutunterlaufene Weiße größer wurde. Sie nickte lächelnd. »Stimmt genau! Mister Collins, der is tot! Der kommt nie mehr nich hier runter und … Was? Was hat er dir getan, Patrick?«
Über ihnen, durchs Mauerwerk gedämpft, heulte der Sturm. Die Glühbirnen flackerten; das Haus stöhnte und ächzte aufbegehrend.
»Was hat er dir getan, mein Junge?«
Sinnlos. Er verstand nichts. Susannah war eben zu diesem Schluss gelangt, als Patrick Danville sich mit beiden Händen an den Bauch griff, um ihn sich zu halten. Er verzog das Gesicht zu einer krampfhaften Grimasse, die anscheinend ein Lachen ausdrücken sollte.
»Er hat dich zum Lachen gebracht.«
Der Junge in seiner Ecke nickte. Er verzog das Gesicht noch mehr. Nun wurden seine Hände zu Fäusten, die er ans Gesicht hob. Er rieb sich damit die Backen, dann drückte er sie in die Augen, zuletzt sah er wieder Susannah an. Ihr fiel auf, dass er am Nasensattel eine kleine Narbe hatte.
»Er hat dich auch zum Weinen gebracht.«
Und abermals nickte Patrick, wie er da so in seiner Ecke kauerte. Er wiederholte die Lachpantomime, indem er sich den Bauch hielt und ho-ho-ho! machte; er wiederholte die Weinpantomime, bei der er sich Tränen von den fast bartlosen Wangen wischte; diesmal fügte er jedoch noch eine dritte Pantomime hinzu, indem er die Hände wie schaufelnd zum Mund bewegte und dabei Schmatzlaute von sich gab.
Zwei Schritte hinter Susannah sagte Roland: »Er hat dich zum Lachen gebracht, er hat dich zum Weinen gebracht, er hat dich essen lassen.«
Patrick schüttelte den Kopf so heftig, dass er gegen die Steinmauern schlug, die seine Ecke seitlich begrenzten.
»Er hat gefressn«, sagte Detta. »Das versuchst du zu sagen, stimmt’s? Dandelo hat gefressn.«
Patrick nickte eifrig.
»Er hat dich zum Lachn gebracht, er hat dich zum Weinen gebracht, und dann hat er gefressn, was rausgekommen is. Weil er genau das immer tut!«
Patrick nickte wieder und brach dann in Tränen aus, wobei er unverständliche Klagelaute von sich gab. Susannah arbeitete sich langsam in die Zelle vor und schob sich dabei auf den Handflächen vorwärts, hielt sich aber bereit, sofort den Rückzug anzutreten, falls er wieder begann, sich den Kopf anzuschlagen. Was er diesmal nicht tat. Als sie den Jungen in der Ecke erreichte, legte er ihr sein kühles Gesicht auf den Busen und weinte. Susannah drehte sich halb um, sah Roland an und signalisierte ihm wortlos, dass er nun hereinkommen könne. Als Patrick zu ihr aufsah, sprach aus seinem Blick stumme, hündische Bewunderung.
»Du brauchst keine Angst zu haben«, sagte Susannah – Detta war wieder fort, war vermutlich von all dem Nettsein erschöpft. »Er kann dir nichts mehr tun, Patrick, er ist tot, mausetot. Hör zu, ich möchte, dass du etwas für mich tust. Ich möchte, dass du den Mund aufmachst.«
Patrick schüttelte den Kopf. In seinem Blick lag wieder Angst, aber auch etwas, dessen Anblick ihr noch verhasster war. Scham.
»Doch, Patrick, doch. Mach den Mund auf.«
Er schüttelte so heftig den Kopf, dass sein fettiges langes Haar
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