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Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Titel: Der dunkle Turm - Gesamtausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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nächsten Tag ging das mit den Tränen los.
     
     

9
     
    Es gab weiterhin reichlich Büsche, hinter die sie verschwinden konnte (um ihren Tränen freien Lauf zu lassen, wenn sie sich nicht mehr zurückhalten ließen), aber das Land wurde immer flacher und weiter. Gegen Mittag des zweiten vollen Tages auf der Straße zum Turm sah Susannah etwas, was sie erst für einen weit vor ihnen über die Landschaft ziehenden Wolkenschatten hielt – nur war der Himmel über ihnen von Horizont zu Horizont wolkenlos blau. Schließlich änderte der große dunkle Fleck auf nicht sehr wolkenähnliche Art seine Richtung. Susannah hielt die Luft an und brachte ihren kleinen Elektroroller zum Stehen.
    »Roland!«, sagte sie. »Das dort vorn ist eine Büffelherde, oder vielleicht sind’s Bisons! Todsicher!«
    »Aye, sagst du das?«, fragte Roland ohne sonderliches Interesse. »Im Lange-Her haben wir sie Bannock genannt. Es ist eine ziemlich große Herde.«
    Patrick stand auf der Ladefläche von Ho Fat II und zeichnete wie verrückt. Er hielt den Bleistift jetzt anders, sodass der gelbe Schaft an seiner Handfläche anlag, während er mit der Spitze schraffierte. Susannah konnte fast den von der Büffelherde aufsteigenden Staub riechen, während er ihn schraffierte. Sie hatte allerdings den Eindruck, dass er sich die künstlerische Freiheit genommen hatte, die Herde eine oder gar zwei Meilen heranzuholen – oder er sah erheblich besser als sie. Das war natürlich möglich. Unterdessen hatten auch ihre Augen sich an die Lichtverhältnisse gewöhnt, und sie sah die Büffel nun besser. Ihre großen zottigen Schädel. Sogar ihre schwarzen Augen.
    »Eine Büffelherde dieser Größe hat es in Amerika seit bestimmt hundert Jahren nicht mehr gegeben«, sagte sie.
    »Aye?« Weiter nur höfliches Interesse. »Aber hier gibt es sie im Überfluss, würde ich sagen. Wenn ein kleines Tet von ihnen in Schussweite kommt, sollten wir ein Tier erlegen. Ich würde gern einmal etwas frisches Fleisch essen, das nicht Hirsch ist. Du wohl auch, oder?«
    Susannah ließ ihr Lächeln für sich antworten. Roland erwiderte es. Und ihr wurde erneut bewusst, dass sie ihn bald nicht mehr sehen würde, diesen Mann, den sie anfangs für ein Trugbild oder einen Dämon gehalten hatte, bevor sie ihn sowohl an-tet als auch dan-dinh kennen gelernt hatte. Eddie war tot. Jake war tot, und sie würde Roland von Gilead bald nicht mehr sehen. Würde sie dann ebenfalls tot sein? Würde sie’s sein?
    Sie sah kurz in die gleißend helle Sonne, damit er ihre Tränen darauf zurückführte, falls er sie bemerkte. Und dann zogen sie weiter in den Südosten dieses endlosen und leeren Landes, in den stetig sich verstärkenden Rhythmus, der von dem Turm als Achse aller Welten und der Zeit selbst ausging.
    Poch-poch-poch.
    Commala-come-come, bald ist die Reise getan.
    An diesem Abend übernahm sie die erste Wache und weckte Roland schließlich um Mitternacht.
    »Ich glaube, er ist irgendwo dort draußen«, sagte sie, indem sie nach Nordwesten zeigte. Nähere Erklärungen waren überflüssig; mit »er« konnte nur Mordred gemeint sein. Alle anderen gab es nicht mehr. »Pass gut auf.«
    »Das werde ich«, sagte er. »Und wach gut auf, wenn du einen Schuss hörst. Und schnell.«
    »Worauf du dich verlassen kannst«, sagte sie und streckte sich im trockenen Wintergras hinter Ho Fat II aus. Anfangs war sie sich nicht sicher, ob sie Schlaf finden würde; sie war von dem Gefühl einer feindseligen Präsenz in ihrer Nähe noch immer aufgeregt und durcheinander. Aber dann schlief sie doch ein.
    Und träumte.
     
     

10
     
    Der Traum der zweiten Nacht ist dem der ersten Nacht ähnlich und zugleich unähnlich. Die Hauptelemente sind identisch: Central Park, weißlich grauer Himmel, Flockenwirbel, im Chor singende Stimmen (heute mit »Come Go With Me«, dem alten Del-Vikings-Hit), Jake (ICH FAHRE DEN TAKURO SPIRIT!) und Eddie (diesmal in einem Sweatshirt mit dem Aufdruck KLICK! MIT EINER SHINNARO -KAMERA!). Eddie hat einen Becher mit heißer Schokolade, den er ihr jedoch nicht anbietet. Sie kann nicht nur auf den Gesichtern, sondern auch an der angespannten Haltung der beiden sehen, wie beunruhigt sie sind. Das ist der entscheidende Unterschied dieses Traums: Es gibt etwas zu sehen oder zu tun, vielleicht auch beides. Was immer es sein mag, die beiden haben erwartet, dass sie es längst sehen oder tun würde, aber sie hat sich als begriffsstutzig erwiesen.
    Das wirft eine ziemlich schwerwiegende

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