Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
Frage auf: Ist sie vorsätzlich begriffsstutzig? Gibt es hier etwas, dem sie sich nicht stellen will? Ist es vielleicht sogar denkbar, dass der Dunkle Turm die Kommunikation mit den beiden behindert? Natürlich ist das eine lächerliche Idee – diese Leute, die sie sieht, sind schließlich nur Produkte ihrer sehnsüchtigen Phantasie; sie sind tot! Eddie durch eine Kugel getötet, Jake von einem Auto überfahren: der eine in dieser Welt umgekommen, der andere in der Fundamentalen Welt, wo Spaß einfach Spaß ist, was geschehen ist, geschehen bleibt (geschehen bleiben muss, weil die Zeit dort stets nur in einer Richtung läuft), und Stephen King ihr Poeta laureatus ist.
Trotzdem kann sie diesen Ausdruck auf ihren Gesichtern nicht leugnen, jenen panikartigen Ausdruck, der zu besagen scheint: Du hast es, Suze – du hast, was wir dir zeigen wollen, du hast, was du wissen musst. Willst du es etwa entschlüpfen lassen? Das vierte Viertel hat begonnen. Wir sind im vierten Viertel, und die Uhr läuft und wird weiterlaufen, muss weiterlaufen, weil du schon alle dir zustehenden Auszeiten genommen hast. Du musst dich beeilen … beeilen …
11
Susannah schrak nach Luft ringend hoch. Es war schon fast Tag. Sie fuhr sich mit einer Hand über die Stirn und stellte fest, dass sie schweißnass war.
Was wolltest du mir mitteilen, Eddie? Was willst du mich wissen lassen?
Auf diese Frage gab es keine Antwort. Wie denn auch? Der feine Mister Dean, der is tot, dachte sie und ließ sich zurücksinken. So lag sie noch eine weitere Stunde da, ohne wieder einschlafen zu können.
12
Wie Ho Fat I, so war auch Ho Fat II mit Zuggriffen ausgerüstet, die im Gegensatz zu denen des ersten Gefährts jedoch verstellbar waren. Wenn Patrick einmal zu Fuß gehen wollte, ließen die Griffe sich spreizen, damit Roland und er je einen bekamen. Wollte er lieber fahren, klappte Roland sie wieder zusammen, um den Wagen allein ziehen zu können.
Mittags machten sie Halt, um zu essen. Nach dieser Mahlzeit kroch Patrick auf die Ladefläche von Ho Fat II, um ein Nickerchen zu machen. Roland wartete, bis er den Jungen (das blieb er nämlich für sie, unabhängig davon, wie alt er in Wirklichkeit sein mochte) leise schnarchen hörte, dann wandte er sich an sie.
»Susannah, was bekümmert dich eigentlich? Das möchte ich von dir hören. Das möchte ich dan-dinh von dir hören, obwohl wir kein Tet mehr sind und ich nicht mehr dein Dinh bin.« Er lächelte. Dieses traurige Lächeln brach ihr fast das Herz, und sie konnte ihre Tränen nicht länger zurückhalten. Auch die Wahrheit nicht.
»Sollte ich noch bei dir sein, Roland, wenn du den Turm siehst, dann ist irgendwas gewaltig schief gegangen.«
»In welcher Beziehung?«, fragte er.
Sie schüttelte den Kopf und schluchzte nun noch heftiger. »Es sollte hier eine Tür geben … die nichtgefundene Tür. Aber ich weiß nicht, wie ich sie finden soll! Eddie und Jake erscheinen mir in meinen Träumen und erklären mir, dass ich es bereits wüsste – sie sagen es mir mit Blicken –, aber ich weiß es nicht! Ich schwöre, dass ich es nicht weiß!«
Er schloss sie in die Arme und hielt sie umarmt und küsste sie auf die Schläfe. Neben ihrer Unterlippe pochte und brannte das Geschwür. Es blutete zwar nicht, aber es hatte wieder zu wachsen begonnen.
»Lass raus, was raus will«, sagte der Revolvermann, wie seine Mutter einst zu ihm gesagt hatte. »Lass raus, was raus will, ist ja schon gut, und lass das Ka wirken.«
»Du hast gesagt, dass wir seinem Einflussbereich entkommen sind.«
Er hielt sie weiter umarmt, wiegte sie, und das war gut. Es war beruhigend. »Ich habe mich getäuscht«, antwortete er. »Wie du längst weißt.«
13
In der dritten Nacht hatte Susannah wieder die erste Wache, und sie blickte gerade nach hinten, nach Nordwesten die Tower Road entlang, als plötzlich jemand ihre Schulter umfasste. Entsetzen fuhr in ihrem Verstand hoch wie ein Springteufelchen, und sie warf sich herum
(er ist hinter mir o Gott Mordred hat sich hinter mich geschlichen und überfällt mich als Spinne!)
und griff gleichzeitig nach ihrem Revolver, riss ihn aus dem Halfter.
Patrick, auf dessen Gesicht sich auch Entsetzen malte, wich vor ihr zurück und hob erschrocken die Hände. Hätte er aufgeschrien, wäre Roland bestimmt aufgewacht, und dann hätte alles anders ausgehen können. Aber er war zu verängstigt, um aufzuschreien. Er gab einen erstickten Laut von sich, das war
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