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Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Titel: Der dunkle Turm - Gesamtausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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außer dem Daumen verbliebenen beiden Finger hindurchgreifen konnten. Der restliche Teil würde wenigstens seine Handfläche vor Dornen schützen. Er streifte ihn über, dann richtete er sich mit dem Revolver in der Linken auf ein Knie gestützt auf und sah zu der Rose hinüber, die ihnen am nächsten stand. Würde eine genügen? Sie würde reichen müssen, beschloss er. Die nächste Rose stand volle zwei Meter hinter der ersten.
    Patrick umklammerte Roland an der Schulter und schüttelte verzweifelt den Kopf.
    »Ich muss«, sagte Roland, und natürlich musste er das. Dies war seine, nicht Patricks Aufgabe, und es war falsch gewesen, den Jungen überhaupt dazu veranlassen zu wollen. Gelang es ihm, schön und gut. Versagte er und wurde hier am Rande des Can’-Ka No Rey in Stücke gerissen, würde zumindest dieses schreckliche Gezerre aufhören.
    Der Revolvermann holte tief Luft, dann sprang er aus der Deckung und auf die Rose zu. Im selben Augenblick klammerte Patrick sich nochmals an ihn, um ihn zurückzuhalten. Er bekam einen Zipfel von Rolands Mantel zu fassen und brachte ihn dadurch aus dem Gleichgewicht. Roland schlug unbeholfen seitlich auf. Der Revolver flog ihm aus der Hand und landete im hohen Gras. Der Scharlachrote König kreischte (der Revolvermann hörte Triumph und Wut in dieser Stimme), und dann heulte auch schon ein weiterer Schnaatz heran. Rolands behandschuhte Rechte schloss sich um den Stiel der Rose. Die Dornen durchstachen das zähe Hirschleder, als bestünde der Handschuh nur aus Spinnweben. Dann bohrten sie sich ihm in die Hand. Der Schmerz war gewaltig, aber das Lied der Rose umso lieblicher. Tief in ihrem Blütenkelch konnte er jenes gelbe Leuchten sehen, das wie eine Sonne strahlte. Oder wie eine Million Sonnen. Er konnte die Wärme des Bluts spüren, das seine Handfläche füllte und zwischen den verbliebenen Fingern hervortropfte. Es tränkte das Hirschleder und ließ auf der abgewetzten braunen Oberfläche sozusagen eine weitere Rose erblühen. Und da kam der Schnaatz angerauscht, der ihn töten würde; er übertönte das Lied der Rose, erfüllte seinen Kopf und drohte ihm den Schädel zu spalten.
    Der Stiel wollte nicht abbrechen. Zu guter Letzt ließ die Rose sich nur mitsamt der Wurzel ausreißen. Roland wälzte sich nach links, ergriff seinen Revolver und schoss, ohne richtig hinzusehen. Sein Herz sagte ihm, dass dafür die Zeit nicht reichte. Es gab eine entsetzliche Detonation, und der heiße Luftschwall, der ihn gleich darauf im Gesicht traf, glich diesmal einem Tropensturm.
    Knapp. Diesmal war’s ganz knapp.
    Der Scharlachrote König schrie frustriert auf – »IIIIIIIIIII!« – und diesem Schrei folgte ein vielfaches heranrasendes Pfeifen. Patrick drängte sich mit dem Gesicht nach vorn an die Pyramide. Roland, der die Rose mit seiner blutenden Rechten umklammert hielt, rollte sich auf den Rücken, hob seinen Revolver und wartete darauf, dass die Schnaatze zum Angriff einkurven würden. Als sie das taten, schoss er sie nacheinander ab: Nummer eins und zwei und drei.
    »NOCH IMMER DA!«, rief er dem alten Roten König zu. »NOCH IMMER DA, DU ALTER SCHWANZLUTSCHER, WENN’S BELIEBT!«
    Der Scharlachrote König stieß einen weiteren grässlichen Schrei aus, setzte aber keine Schnaatze mehr ein.
    »DU HAST ALSO JETZT EINE ROSE!«, schrie er. »HÖR IHR ZU, ROLAND! HÖR IHR GUT ZU, SIE SINGT NÄMLICH DAS GLEICHE LIED! HÖR IHR ZU UND COMMALA-COME-COME!«
    Dieses Lied beherrschte Rolands Gedanken inzwischen fast vollständig. Es brannte wie Feuer entlang seinen Nervenbahnen. Er packte den Jungen an einer Schulter und riss ihn herum. »Jetzt«, sagte er. »Um meines Lebens willen, Patrick. Um des Lebens jedes Mannes und jeder Frau willen, die jemals an meiner Stelle gestorben sind, damit ich meinen Weg weitergehen konnte.«
    Und um des Kindes willen, dachte er. Vor seinem inneren Auge erschien Jake, der erst über einem finsteren Abgrund hing und dann hinunterstürzte.
    Roland starrte in die ängstlichen Augen des stummen Jungen. »Stell es fertig! Zeig mir, dass du’s kannst.«
     
     

10
     
    Nun wurde Roland Zeuge einer erstaunlichen Tatsache: Als Patrick die Rose entgegennahm, zerschnitten die Dornen ihm nicht die Hand. Er bekam nicht einmal einen Kratzer ab. Roland zog seinen zerfetzten Handschuh mit den Zähnen ab und sah, dass nicht nur die Handfläche tief zerfleischt war, sondern dass auch einer der verbliebenen Finger nur noch an einer einzigen blutigen Sehne hing. Der

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