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Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Titel: Der dunkle Turm - Gesamtausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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auch das rechte Auge mit einem leichten Fingertupfer. Aus seiner Schwarz-Weiß-Zeichnung leuchteten jetzt zwei scharlachrote Augen – Augen, die mit Rosenessenz und dem Blut des Eld koloriert waren; Augen, aus denen das Feuer der Hölle loderte.
    Es war geschafft.
    Nun brachte Roland endlich den Radiergummi zum Vorschein und hielt ihn Patrick hin. »Lass ihn verschwinden«, sagte er. »Lass jenes Scheusal aus dieser Welt und allen anderen verschwinden. Lass es endlich verschwinden.«
     
     

11
     
    Dass es gelingen würde, stand außer Zweifel. Sobald Patrick seine Zeichnung mit dem Radiergummi berührte – zufällig an der Stelle, wo das Haarbüschel aus dem Nasenloch wucherte –, begann der Scharlachrote König auf seinem festungsartigen Balkon erneut vor Schmerz und Entsetzen zu schreien. Und vor Verstehen.
    Patrick zögerte, sah zu Roland hinüber, wie um sich seinen Auftrag bestätigen zu lassen, und Roland nickte. »Aye, Patrick. Seine Zeit ist gekommen, und du sollst sein Scharfrichter sein. Mach weiter.«
    Der alte König warf noch vier Schnaatze, die Roland aber alle mit ruhiger Gelassenheit vom Himmel holte. Danach warf der König keine mehr, weil er keine Hände mehr hatte, mit denen er sie hätte werfen können. Seine Schreie wurden zu gellenden Jammerlauten, die Roland bestimmt sein Leben lang nicht mehr aus dem Ohr gehen würden.
    Der stumme Junge radierte den Mund mit den vollen, sinnlichen Lippen inmitten des wallenden Barts aus, und während er das tat, wurden die Schreie erst leiser, um dann schließlich ganz zu versiegen. Letztlich radierte Patrick alles bis auf die Augen aus; diese konnte der winzige Radiergummirest nicht einmal verwischen. Sie blieben, bis das kleine Stück rosa Gummi (ursprünglich Bestandteil einer Großpackung Bleistifte, die im August 1958 in Norwich, Connecticut, bei Woolworth als Sonderangebot zum Schulanfang gekauft worden war) zu einem Fetzchen geworden war, das nicht einmal die langen, schmutzigen Fingernägel des Jungen mehr halten konnten. Also warf er es fort und zeigte dem Revolvermann, was übrig geblieben war: zwei bösartige blutrote Augäpfel, die im oberen Drittel des Blatts schwebten.
    Der gesamte Rest war verschwunden.
     
     

12
     
    Der Schatten der Pyramidenspitze berührte unterdessen die Straße; jetzt verwandelte die Färbung des Himmels im Westen sich vom Orangerot eines Erntefeuers in die eines Kessels Blut, die Roland seit seiner Kindheit in seinen Träumen gesehen hatte. Währenddessen verdoppelte der Ruf des Dunklen Turms sich, dann verdreifachte er sich. Roland spürte, wie der Turm unsichtbare Hände ausstreckte, die nach ihm griffen, ihn erfassten. Die Zeit, da sein Schicksal sich erfüllen würde, war gekommen.
    Trotzdem musste er an diesen Jungen denken. Diesen Jungen ohne Freunde. Roland wollte ihn nicht hier am Rand von Endwelt sterben lassen, wenn sich das verhindern ließ. Er war nicht an Sühne interessiert, aber irgendwie verkörperte Patrick für ihn all die Morde und den Verrat, die ihn zuletzt hierher zum Dunklen Turm gebracht hatten. Rolands Angehörige waren tot; sein missratener Sohn war der letzte gewesen. Nun würden Eld und Turm vereint werden.
    Zuerst jedoch – oder zuletzt – war dieses noch zu erledigen.
    »Patrick, hör mir zu«, sagte er und legte dem Jungen seine gesunde Linke und die verstümmelte Rechte auf die Schultern. »Wenn du weiterleben willst, um all die Bilder malen zu können, die das Ka für dich in der Zukunft bereithält, dann stell mir nun keine Fragen und fordere mich auch nicht auf, einen einzigen Punkt zu wiederholen.«
    Der Junge sah in dem roten, ersterbenden Licht mit großen Augen schweigend zu ihm auf. Und um sie herum steigerte das Lied des Turms sich zu einem gewaltigen Ruf, der nur noch aus commala bestand.
    »Geh zur Straße zurück. Sammle alle Konservendosen ein, die noch heil sind. Die müssten reichen, um dich über die Runden zu bringen. Geh auf dem Weg zurück, den wir gekommen sind. Verlass auf keinen Fall die Straße. Dann kann dir nichts passieren.«
    Patrick nickte und schien alles genau verstanden zu haben. Roland sah, dass der Junge an ihn glaubte, und das war gut. Sein Glaube würde ihn besser schützen als ein Revolver, selbst als einer mit Sandelholzgriff.
    »Geh zum Außenposten zurück. Zurück zu dem Roboter – dem ehemaligen Stotter-Bill. Sag ihm, dass er dich zu einer Tür bringen soll, die sich zur Amerika-Seite hin öffnet. Wenn sie sich nicht mit der Hand öffnen

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