Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
mehr hat, mit der sie kreischen kann.
Ihr Lachen hörte unvermittelt auf. Roland näherte sich ihr, eine dunkle Gestalt im Mondlicht.
»Bleibma vom Leib, Blaßfleisch«, sagte Detta, aber ihre Stimme hatte einen nervösen, zitternden Unterton. »Du wirstmer nix tun.«
Roland stand vor ihr, und Eddie war einen Augenblick sicher, vollkommen sicher, daß der Revolvermann das Ende seiner Geduld erreicht hatte und sie einfach wie eine Fliege zerquetschen würde. Statt dessen sank er erstaunlicherweise vor ihr auf ein Knie wie ein Bräutigam, der dabei ist, einen Antrag zu machen.
»Hör mir zu«, sagte er, und Eddie konnte sich die seidige Stimme Rolands überhaupt nicht erklären. Er sah dieselbe fassungslose Überraschung in Dettas Gesicht, dort aber mit Angst vermischt. »Hör mir zu, Odetta.«
»Wen nennste O-Detta? Das is’ nich mein Name.«
»Sei still, Schlampe«, sagte der Revolvermann knurrend, und dann weiter, wieder mit der seidigen Stimme: »Wenn du mich hörst und wenn du sie kontrollieren kannst…«
»Warum redste so mit mir? Warum redste, als würdste zunner annern sprechn? Laß ‘se Blassenscheiße! Hör sofort auffemit!«
»… dann sorg dafür, daß sie still bleibt. Ich kann sie knebeln, aber das will ich nicht. Ein fester Knebel ist eine gefährliche Sache. Man kann ersticken.«
» HÖR ENNL1CH UFFEMIT DU BLASSER BESCHISSENER VOODOOWICHSAH!«
»Odetta.« Seine Stimme flüsterte wie beginnender Regen.
Sie verstummte und sah ihn mit großen Augen an. Eddie hatte in seinem ganzen Leben noch nicht soviel Haß und Angst im Blick eines Menschen vereint gesehen.
»Ich glaube, diesem Dreckstück wäre es egal, ob sie an einem festen Knebel stirbt. Sie will sterben, aber noch mehr wünscht sie sich, daß du stirbst. Aber du bist nicht gestorben, bis jetzt noch nicht, und ich glaube auch nicht, daß Detta neu in deinem Leben ist. Sie fühlt sich in dir zu sehr zu Hause, vielleicht kannst du ja hören, was ich sage, und vielleicht kannst du etwas Kontrolle über sie ausüben, auch wenn du noch nicht herauskommen kannst.
Laß nicht zu, daß sie uns zum drittenmal weckt, Odetta!
Ich will sie nicht knebeln.
Aber ich werde es tun, wenn es sein muß.«
Er stand auf, ging weg, ohne sich noch einmal umzudrehen, rollte sich wieder in seine Decke und schlief sofort ein.
Sie sah ihn immer noch mit weit aufgerissenen Augen und bebenden Nasenflügeln an.
»Blasse Voodooscheiße«, flüsterte sie.
Eddie legte sich hin, aber diesmal dauerte es lange, bis er einschlief, obwohl er schrecklich müde war. Er kam bis an den Rand, rechnete mit ihren Schreien und war wieder wach.
Drei Stunden später, als der Mond sich schon auf dem Rückweg befand, döste er schließlich ein.
Detta schrie in dieser Nacht nicht mehr, entweder hatte Roland ihr Angst gemacht, oder sie wollte ihre Stimme für künftige Erschreckmanöver und Störungen schonen, oder – möglicherweise, nur möglicherweise – Odetta hatte ihn gehört und hatte die Kontrolle ausgeübt, um die der Revolvermann sie gebeten hatte.
Schließlich schlief Eddie ein, aber er erwachte zerschlagen und nicht erfrischt. Er sah zum Rollstuhl und hoffte wider alle Hoffnung, es möge Odetta sein, »bitte, lieber Gott, laß es heute morgen Odetta sein…«
»Morn, Weißbrot«, sagte Detta und grinste ihn mit ihrem Haifischgrinsen an. »Dachte schon, du willst’n gansn Tach schlafn. Aber das kannste nich’ machen, was? Wir müssn ‘n paar Meiln weiter, isses nich so? Klaro! Und ich schätze, du mußts Schieben allein übernehmn, weiler annere Bursche, der mitten Voodooaugn, der sieht imma schlechta aus. Das tuter! Glaub nich, dasser noch lange irjndwas essen kann, nichmal ‘s gute Rauchfleisch, was ihr Weißbrote freßt, wenner euch annen winzigen weißen Pimmeln rumgemacht habt. Also los, Weißbrot! Detta will nie nich diejenje sein, was dich aufhalten tut.«
Ihre Lider sanken ein wenig herunter, ihre Stimme wurde tiefer; die Augen sahen ihn aus den Augenwinkeln verschlagen an.
»Jedenfalls nich vom Losgehn.«
Wird’n Tach werden, an dende dich erinnerst, Weißbrot, versprachen diese verschlagenen Augen. Wird’n Tach werden, an dende dich verflixt lang erinnern wirst.
Klaro.
14
Sie schafften an diesem Tag drei Meilen, vielleicht eine Winzigkeit weniger. Dettas Stuhl kippte zweimal um. Einmal machte sie es selbst, indem sie die Finger wieder langsam und unauffällig zur Handbremse schob und zog. Beim zweitenmal gelang es Eddie ganz ohne
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