Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
Pfund schwerer als Odetta sein mußte und er seine Kräfte schonen sollte, lief Eddie dennoch weiter. Laß sie in Sicherheit sein, das ist mein Wunsch, laß meine Liebste in Sicherheit sein.
Dann schrie wie ein schlechtes Omen irgendwo in den gequälten Klüften zwischen den Bergen eine Wildkatze… aber diese Wildkatze hörte sich so groß wie ein Löwe an, der im afrikanischen Busch brüllt.
Eddie lief noch schneller und stieß den ungenutzten Rollstuhl vor sich her. Bald blies der Wind ein dünnes, garstiges Winseln zwischen den sich ungehindert drehenden Speichen der erhobenen Vorderreifen hindurch.
11
Der Revolvermann hörte, wie ein dünnes Pfeifen auf ihn zukam, verkrampfte sich einen Augenblick, hörte dann keuchendes Atmen und entspannte sich. Es war Eddie. Das wußte er auch, ohne die Augen aufzumachen.
Als das Pfeifen nachließ und die laufenden Schritte langsamer wurden, machte Roland die Augen auf. Eddie stand keuchend vor ihm, Schweiß strömte ihm an den Seiten des Gesichts hinab. Sein Hemd klebte als einziger dunkler Fleck an seiner Brust. Die letzten Spuren des College-Jungen-Aussehens, auf dem Jack Andolini bestanden hatte, waren verschwunden. Das Haar hing ihm in die Stirn. Er hatte die Hose im Schritt aufgerissen. Die blau-purpurnen Halbmonde unter den Augen rundeten das Bild ab. Eddie Dean war am Ende.
»Ich habe es geschafft«, sagte er. »Ich bin hier.« Er sah sich um, dann wieder zum Revolvermann, als könnte er es nicht glauben. »Jesus Christus, ich bin wirklich hier.«
»Du hast ihr den Revolver gegeben.«
Eddie fand, daß der Revolvermann schlecht aussah – so schlecht, wie er vor der zu knappen Dosis Keflex ausgesehen hatte, vielleicht sogar noch ein wenig schlechter. Fieberhitze schien in Wellen von ihm auszugehen, und er wußte, er hätte ihm leid tun sollen, aber augenblicklich schien er nichts anderes als eine teuflische Wut empfinden zu können.
»Ich habe mir den Arsch aufgerissen, um rechtzeitig hier zu sein, und dir fällt nichts anderes ein als: ›Du hast ihr den Revolver gegeben‹. Danke, Mann. Ich meine, ich habe mit einem gewissen Dank gerechnet, aber dies ist schlicht und einfach verdammt überwältigend.«
»Ich finde, ich habe das einzige gesagt, das zählt.«
»Nun, jetzt wo du es sagst – ich habe es tatsächlich getan«, sagte Eddie, stemmte die Arme in die Hüften und sah trotzig auf den Revolvermann herab. »Und jetzt hast du die Wahl. Du kannst in diesen Stuhl klettern, oder ich werde ihn zusammenklappen und ihn dir in den Arsch rammen. Was ziehst du vor, Massah?«
»Keins von beidem.« Roland lächelte ein wenig, das Lächeln eines Mannes, der nicht lächeln will, aber nicht anders kann. »Zuerst wirst du ausschlafen, Eddie. Wir werden sehen, was es zu sehen gibt, wenn die Zeit gekommen ist, es zu sehen, aber vorläufig brauchst du Schlaf. Du bist fix und fertig.«
»Ich will zu ihr zurück.«
»Ich auch. Aber wenn du nicht schläfst, wirst du unterwegs umkippen. So einfach ist das. Schlecht für dich, noch schlimmer für mich, aber am schlimmsten für sie.«
Eddie stand einen Augenblick unentschlossen da.
»Du hast eine gute Zeit geschafft«, gab der Revolvermann zu. Er blinzelte in die Sonne. »Es ist vier, möglicherweise Viertel nach. Du schläfst fünf, vielleicht sieben Stunden, dann wird es dunkel sein…«
»Vier. Vier Stunden.«
»Also gut. Bis es dunkel ist; das ist wichtig. Dann ißt du. Dann brechen wir auf.«
»Du ißt auch.«
Wieder das andeutungsweise Lächeln. »Ich versuche es.« Er sah Eddie ruhig an. »Mein Leben ist jetzt in deinen Händen; ich schätze, das weißt du.«
»Ja.«
»Ich habe dich entführt.«
»Ja.«
»Willst du mich umbringen? Wenn ja, dann solltest du es jetzt tun und uns nicht beide den Strapazen aussetzen…« Sein Atem ging pfeifend aus. Eddie hörte seine Brust rasseln, und das Geräusch gefiel ihm überhaupt nicht. »… die uns bevorstehen«, endete er.
»Ich will dich nicht umbringen.«
»Dann…« Er wurde von einem plötzlichen, heftigen Hustenanfall unterbrochen. »…leg dich hin.«
Eddie gehorchte. Der Schlaf stahl sich nicht über ihn, wie das manchmal der Fall war, sondern packte ihn mit den rauhen Händen eines Liebhabers, der in seiner Begierde ungeschickt ist. Er hörte Roland sagen: Aber du hättest ihr den Revolver nicht geben sollen (oder vielleicht war es nur ein Traum), und dann war er eine unbekannte Zeitlang einfach in Dunkelheit, und dann schüttelte Roland ihn
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