Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
fragte Eddie höflich, »daß keiner je versucht hat, über diesen Dunklen Turm mit dir zu streiten, den du so unbedingt erreichen willst?«
Roland lächelte müde. »Das haben sogar viele versucht. Daher ist mir vielleicht klar, daß du dich nicht umstimmen lassen wirst. Ein Narr erkennt einen anderen. Wie auch immer, ich bin zu schwach, dich einzufangen, du bist offensichtlich zu argwöhnisch, daß du dich in Reichweite heranlocken läßt, und die Zeit ist so knapp, daß ich nicht mehr streiten kann. Ich kann nur gehen und das Beste hoffen. Und bevor ich gehe, sage ich dir zum letztenmal, und hör mir gut zu, Eddie: Sei auf der Hut!«
Dann tat Roland etwas, daß sich Eddie all seiner Zweifel schämte (ihn aber keineswegs von seinem festen Entschluß abbrachte): Er klappte mit einer geübten Handbewegung die Trommel des Revolvers auf, kippte alle Patronen heraus und lud ihn mit neuen aus der Nähe der Gürtelschnallen nach. Er rastete den Zylinder mit einer weiteren Handbewegung wieder ein.
»Keine Zeit, die Maschine zu reinigen«, sagte er, »aber wird wohl nichts machen, schätze ich. Und jetzt fang, und fang gut – mach meine Maschine nicht schmutziger als sie schon ist. In meiner Welt gibt es nicht mehr viele Maschinen, die funktionieren.«
Er warf den Revolver über den Zwischenraum zwischen ihnen. Eddie ließ ihn in seiner Ängstlichkeit beinahe wirklich fallen. Aber dann hatte er ihn wohlbehalten in den Saum gesteckt.
Der Revolvermann erhob sich aus dem Rollstuhl; er wäre beinahe gestürzt, als dieser unter seinen sich aufstützenden Händen wegrutschte, dann wankte er zur Tür. Er ergriff den Knauf; in seiner Hand drehte er sich mühelos. Eddie konnte die Szene nicht sehen, in die sich die Tür öffnete, aber er hörte gedämpften Verkehrslärm.
Roland sah wieder zu Eddie, seine blauen Kanoniersaugen leuchteten aus einem Gesicht, das schrecklich blaß war.
16
Detta beobachtete das alles mit gierig funkelnden Augen von ihrem Versteck aus.
17
»Vergiß nicht, Eddie«, sagte er mit heiserer Stimme, und dann trat er nach vorne. Sein Körper brach am Rand der Tür zusammen, als wär er nicht ins Nichts, sondern gegen eine solide Mauer gelaufen.
Eddie verspürte einen fast unbezähmbaren Drang, zu der Tür zu gehen und nachzusehen, wohin – und in welche Zeit – sie führte. Statt dessen drehte er sich um und sondierte wieder die Hügel; eine Hand hatte er auf dem Revolvergriff.
Ich sage es dir zum letzten Mal.
Plötzlich hatte Eddie Angst, als er die braunen Hügel studierte.
Sei auf der Hut.
Dort oben bewegte sich nichts.
Jedenfalls konnte er nichts sehen.
Aber er spürte sie nichtsdestotrotz.
Nicht Odetta; diesbezüglich hatte der Revolvermann recht.
Er spürte Detta.
Er schluckte und hörte ein Schnalzen im Hals.
Sei auf der Hut.
Ja. Aber er hatte noch nie in seinem Leben ein so tödliches Bedürfnis nach Schlaf verspürt. Er würde ihn bald überkommen; wenn er sich ihm nicht freiwillig fügte, würde der Schlaf ihn vergewaltigen.
Und während er schlief, würde Detta kommen.
Detta.
Eddie kämpfte gegen die Müdigkeit an, betrachtete die reglosen Hügel mit Augen, die geschwollen und schwer schienen, und fragte sich, wie lange es dauern würde, bis Roland mit dem – oder der – dritten zurückkam, dem Mörder, wer immer er sein mochte.
»Odetta?« rief er ohne große Hoffnung.
Nur Schweigen antwortete ihm, und für Eddie begann die Zeit des Wartens.
Der Mörder
ERSTES KAPITEL
Bittere Medizin
1
Als der Revolvermann in Eddie eingedrungen war, hatte Eddie einen Augenblick der Übelkeit verspürt und das Gefühl gehabt, als würde er beobachtet werden (das hatte Roland nicht gespürt; Eddie hatte es ihm später gesagt). Er hatte, mit anderen Worten, eine unbestimmte Ahnung von der Präsenz des Revolvermanns gehabt. Bei Detta Walker war Roland gezwungen gewesen, sofort nach vorne zu kommen, ob es ihm gefiel oder nicht. Sie hatte ihn nicht nur gespürt, es war auf unheimliche Weise gewesen, als hätte sie auf ihn gewartet – ihn oder eine andere, häufigere Besucherin. Wie dem auch sei, sie war sich seiner Anwesenheit vom ersten Augenblick, als er in ihr erschienen war, bewußt gewesen.
Jack Mort spürte überhaupt nichts.
Er konzentrierte sich zu sehr auf den Jungen.
Er beobachtete den Jungen schon seit zwei Wochen. Heute würde er ihn stoßen.
2
Obwohl der Junge den Augen, durch die der Revolvermann jetzt sah,
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