Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
bekommen konnte, die sein Körper so dringend brauchte, daß Morts Mantelschöße trotz der schweren Patronenladung in jeder Tasche hinter ihm flatterten. Die über seiner Hüfte überkreuzten Revolvergurte waren deutlich zu sehen. Er trug sie nicht, wie ihre eigentlichen Besitzer sie getragen hatten, sauber und ordentlich, sondern so, wie er seine eigenen getragen hatte: überkreuz und tief an den Hüften.
Für die Einkäufer, Spaziergänger und Passanten auf der Neunundvierzigsten Straße sah er aus, wie er für Fat Johnny ausgesehen hatte: wie ein Desperado.
Roland erreichte Katz’ Drogerie und ging hinein.
13
Der Revolvermann hatte in seiner Zeit mit Zauberern, Magiern und Alchimisten zu tun gehabt. Manche waren gerissene Scharlatane gewesen, einige dumme Betrüger, an die nur Menschen glauben konnten, die noch dümmer als sie selbst waren (aber in der Welt hatte nie Knappheit an Narren bestanden, daher konnten selbst die dummen Betrüger überleben; tatsächlich ging es den meisten sogar blendend), und ein paar waren sogar tatsächlich imstande gewesen, die schwarzen Dinge zu tun, von denen die Menschen flüsterten. Diese wenigen konnten Dämonen und die Toten beschwören, konnten mit einem Fluch töten oder mit seltsamen Lotionen heilen. Einer dieser Männer war ein Geschöpf gewesen, das der Revolvermann selbst für einen Dämon gehalten hatte, ein Geschöpf, das sich als Mensch ausgegeben und sich Flagg genannt hatte. Er hatte ihn nur ganz kurz gesehen, und das gegen Ende, als Chaos und der endgültige Zusammenbruch über sein Land hereingebrochen waren. Ihm auf den Fersen waren zwei junge Männer gewesen, die verzweifelt und doch entschlossen ausgesehen hatten; Dennis und Thomas hießen sie. Diese hatten nur sehr kurze und obendrein verwirrte und verwirrende Zeit an Rolands Leben teilgehabt, aber er würde nie den Anblick vergessen, wie Flagg einen Mann, der ihn erzürnt hatte, in einen heulenden Hund verwandelte. Daran konnte er sich noch gut erinnern. Und dann war da der Mann in Schwarz gewesen.
Und Marten.
Marten, der seine Mutter verführte, während sein Vater weg war, Marten, der Rolands Tod herbeiführen wollte und statt dessen seine frühe Mannbarkeit erreicht hatte, Marten, den er, vermutete er, wiedersehen würde, bevor er den Turm erreichte… oder dort selbst.
Das alles soll nur verdeutlichen, daß seine Erfahrung mit Zauberei und Zauberern ihn etwas völlig anderes erwarten ließ, als er tatsächlich in Katz’ Drogerie fand.
Er hatte einen düsteren, von Kerzen erhellten Raum voll bitterer Gerüche, Kolben mit unbekannten Flüssigkeiten und Pulvern und Flaschen erwartet, viele davon mit dicken Staubschichten bedeckt oder von jahrhundertealten Spinnweben verborgen. Er hatte einen Mann in Kutte erwartet, einen Mann, der gefährlich sein konnte. Er sah durch die durchsichtigen Fensterscheiben, wie sich Menschen so beiläufig wie in jedem beliebigen Geschäft darin bewegten, und er glaubte, sie müßten eine Illusion sein.
Waren sie nicht.
Daher stand der Revolvermann einen Augenblick unter der Tür, zuerst erstaunt und dann ironisch amüsiert. Er befand sich hier in einer Welt, die ihn scheinbar auf Schritt und Tritt mit neuen Wundern aus der Fassung brachte, einer Welt, wo Kutschen durch die Luft flogen und Papier offenbar so billig wie Sand war. Und das neueste Wunder war, daß für diese Menschen die Wunder schlichtweg ausgegangen waren: Er sah hier, an einem Ort der Wunder, nur gelangweilte Gesichter und schlurfende Körper.
Da waren Tausende Flaschen, da waren Lotionen, da waren Kolben, aber die Mortzyklopädie identifizierte die meisten als Gepränge und Schau. Hier war eine Salbe, die Haarausfall heilen sollte, es aber nicht tat; hier eine Creme, die versprach, unschöne Flecken auf Händen und Armen zu beseitigen, was aber nicht stimmte. Hier gab es Heilung für Dinge, die gar nicht geheilt werden mußten: Mittel, die die Eingeweide zum Überlaufen brachten oder genau das verhinderten, die die Zähne weiß und das Haar schwarz machten, Mittel, die den Atem besser machen sollten, als könnte man das nicht einfach erreichen, indem man Erlenrinde kaute. Hier war keine Zauberei; nur Triviales – aber es gab Astin und ein paar andere Mittel, die zu wirken schienen. Aber Roland fühlte sich größtenteils abgestoßen. An einem Ort, der Alchimie versprach und statt dessen mehr Parfüm als wirksame Mittel anbot, war es da ein Wunder, daß die Wunder ausgegangen
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