Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
haltgemacht. Jake hatte Angst und hat sich vor ihm versteckt. Ich bin sicher, Walter hat gewußt, daß er dort war, aber es war seinen Zielen dienlich, so zu tun, als wüßte er es nicht. Er ließ den Jungen wie eine Falle zurück.
Ich fragte ihn, ob es dort etwas zu essen gab. Ich dachte mir, es müßte etwas geben. Er sah hinreichend gesund aus, und das Wüstenklima ist bestens geeignet, etwas zu konservieren. Er hatte etwas Dörrfleisch und sagte, es gäbe einen Keller. Den hatte er nicht untersucht, weil er Angst hatte.« Der Revolvermann sah sie grimmig an. »Er hatte guten Grund, Angst zu haben. Ich habe Essen gefunden… aber ich habe auch einen sprechenden Dämon gefunden.«
Eddie sah mit aufgerissenen Augen auf den Kieferknochen hinab. Das orangefarbene Licht des Feuers tanzte auf den uralten Krümmungen und unheilbringenden Zähnen. »Sprechender Dämon? Du meinst dieses Ding?«
»Nein«, sagte er. »Ja. Beides. Hört zu, dann werdet ihr es verstehen.«
Er erzählte ihnen von dem unmenschlichen Stöhnen, das er aus der Erde hinter dem Keller vernommen hatte; wie er Sand zwischen zwei alten Blocks rieseln gesehen hatte, aus denen die Kellerwände bestanden. Er erzählte ihnen, wie er sich dem Loch genähert hatte, das dort klaffte, als Jake gerufen hatte, er solle nach oben kommen.
Er hatte dem Dämon befohlen zu sprechen… und der Dämon hatte gehorcht, mit der Stimme von Allie, der Frau mit der Narbe auf der Stirn, der Frau, der die Bar in Tull gehört hatte. Sei vorsichtig bei dem Drawers, Revolvermann. Solange du mit dem Jungen unterwegs bist, hat der Mann in Schwarz deine Seele in der Tasche.
»Die Drawers?« fragte Susannah verblüfft.
»Ja.« Roland sah sie eindringlich an. »Das sagt dir etwas, richtig?«
»Ja… und nein.«
Sie sprach sehr zögernd. Teilweise lag das, wie Roland wußte, einfach an einem Widerwillen, von Dingen zu sprechen, die schmerzvoll für sie waren. Aber sie glaubte, der Hauptgrund war der, daß sie nicht noch mehr verwirren wollte, was schon verwirrend genug war, indem sie mehr sagte, als sie eigentlich wußte. Das bewunderte er. Er bewunderte sie.
»Sag mir das, was du sicher weißt«, sagte er. »Mehr nicht.«
»Na gut. Die Drawers waren ein Ort, den Detta Walker gekannt hat. Ein Ort, an den Detta Walker gedacht hat. Es war ein Slangausdruck, den sie von den Erwachsenen aufgeschnappt hatte, wenn diese auf der Veranda saßen und Bier tranken und von den alten Zeiten erzählten. Es bedeutet einen Ort, der verdorben ist oder nutzlos, oder beides. Etwas an den Drawers – am Konzept der Drawers – hat Detta angesprochen. Frag mich nicht, was; ich habe es vielleicht einmal gewußt, aber jetzt nicht mehr. Und ich will es auch nicht wissen.
Detta hat meiner Tante Blue einen Porzellanteller gestohlen – den meine Eltern ihr zur Hochzeit geschenkt hatten – und ihn zu den Drawers gebracht – ihren Drawers –, um ihn kaputtzumachen. Bei diesem Ort handelte es sich um eine Kiesgrube voll Müll. Eine Müllhalde. Später hat sie manchmal Jungs in Straßenkneipen aufgerissen.«
Susannah ließ den Kopf sinken und kniff die Lippen fest zusammen. Dann sah sie wieder auf und fuhr fort.
»Weiße Jungs. Und wenn sie sie zu ihren Autos auf dem Parkplatz gebracht haben, hat sie sie aufgegeilt und ist weggelaufen. Diese Parkplätze… sie waren auch ihre Drawers. Es war ein gefährliches Spiel, aber sie war jung genug, schnell genug, daß sie es durchziehen und Spaß daran haben konnte. Später, in New York, hat sie Ladendiebstähle begangen… das wißt ihr. Beide. Immer in den teuren Geschäften – Macy’s, Gimbel’s, Bloomingdale’s –, dort hat sie Trinkkelche gestohlen. Wenn sie beschlossen hatte, sich auf so einen Beutezug zu begeben, dachte sie: Werd’ heute die Drawers besuchen. Werd’n bißchen Mist vonnen Weißen klauen. Werd mir was Besonners klauen und’s dann zerdeppern.«
Sie verstummte mit zitternden Lippen und sah ins Feuer. Als sie sich wieder umdrehte, sahen Roland und Eddie Tränen in ihren Augen.
»Ich weine, aber laßt euch davon nicht täuschen. Ich erinnere mich, daß ich das gemacht habe, und es hat mir Spaß gemacht. Ich glaube, ich weine, weil ich es wieder machen würde, wenn die Umstände entsprechend wären.«
Roland schien einen Teil seiner alten Gelassenheit, seiner unheimlichen Ausgeglichenheit wiedererlangt zu haben. »In meinem Land kennt man ein Sprichwort, Susannah: ›Dem klugen Dieb wird es immer wohl ergehen.‹«
»Ich sehe
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