Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
waren. Einige hatten sich nach oben verschoben und offenbarten Einblicke in dunkle Eingeweide; andere hingen schief durch. Viele der letzteren waren einfach rissig, aber einige waren auch durchgebrochen und wiesen Löcher auf, durch die Lastwagen stürzen konnten – große Lastwagen. An Stellen, wo auch die Unterseiten der Trapezoeder durchgebrochen waren, konnten sie das schlammige Flußufer und das graugrüne Wasser des Send erkennen. Eddie schätzte die Strecke zwischen Brücke und Wasseroberfläche in der Mitte der Konstruktion auf rund hundert Meter. Und das war eine vorsichtige Schätzung.
Eddie betrachtete die riesigen Betonblöcke, an denen die Hauptkabel verankert waren, und kam zum Ergebnis, daß der an der rechten Seite der Brücke aussah, als wäre er teilweise aus der Erde gezogen worden. Er beschloß, daß es vielleicht besser wäre, die anderen nicht auf diese Tatsache hinzuweisen; schlimm genug, daß die Brücke langsam, aber merklich hin und her schwankte. Er wurde seekrank, wenn er nur hinsah. »Und?« fragte er Roland. »Was meinst du?«
Roland deutete zur rechten Seite der Brücke. Dort befand sich ein etwa eineinhalb Meter breiter Fußweg. Dieser war auf einer Reihe kleinerer Betonblöcke erbaut worden und bildete eine separate Ebene. Diese in Segmente unterteilte Ebene schien von einem Unterkabel getragen zu werden – oder vielleicht war es eine dicke Stahlstrebe –, das mit riesigen Klammern an den Hauptstützkabeln befestigt war. Eddie begutachtete die erste mit dem lebhaften Interesse eines Mannes, der dem Gegenstand seiner Betrachtung möglicherweise demnächst sein Leben anvertrauen muß. Die Klammer war rostig, schien aber noch fest zu sein. Die Worte LaMERK FOUNDRY waren in das Metall eingeprägt. Eddie stellte fasziniert fest, daß er nicht mehr unterscheiden konnte, ob es sich dabei um Hochsprache oder um Englisch handelte.
»Ich glaube, den können wir benützen«, sagte Roland. »Es gibt nur eine gefährliche Stelle. Siehst du sie?«
»Ja – sie ist irgendwie schwer zu übersehen.«
Die Brücke, die mindestens eine Dreiviertelmeile lang sein mußte, mochte seit mehr als tausend Jahren nicht mehr richtig gewartet worden sein, aber Roland vermutete, daß die fundamentale Zerstörung erst vor rund fünfzig Jahren eingesetzt haben dürfte. Die Aufhängungen der rechten Seite waren nach und nach gerissen, und daher hatte sich die Brücke immer weiter nach links geneigt. Die schlimmste Verzerrung hatte in der Mitte stattgefunden, zwischen den hundertzwanzig Meter hohen Kabeltürmen. An der Stelle, wo der Druck am größten war, zog sich eine klaffende, augenförmige Öffnung über die Ebene. Der Riß im Fußweg war schmaler, aber dennoch waren mindestens zwei angrenzende Betonsegmente in den Send gestürzt und hatten ein etwa sechs bis acht Meter breites Loch hinterlassen. Dort konnten sie deutlich das rostige Kabel oder die Strebe sehen, die den Fußweg stützte. Die würden sie benützen müssen, um die Lücke zu überqueren.
»Ich glaube, wir können hinüber«, sagte Roland und deutete gelassen mit dem Finger. »Die Lücke ist ein Ärgernis, aber das Geländer ist noch da, also können wir uns wenigstens festhalten.«
Eddie nickte, aber er konnte spüren, wie sein Herz heftig schlug. Die freiliegende Tragstütze des Fußwegs sah wie ein großes Rohr aus Stahlsegmenten aus und war oben rund einen Meter breit. Er sah vor seinem geistigen Auge, wie sie sich hinübertasteten, die Füße auf dem leicht gekrümmten Kabel, die Hände am Geländer, während die Brücke langsam schwankte wie ein Schiff bei schwachem Seegang.
»Herrgott«, sagte er. Er versuchte zu spucken, aber es kam nichts heraus. Sein Mund war zu trocken. »Bist du sicher, Roland?«
»Soweit ich sehen kann, ist es der einzige Weg.« Roland deutete flußabwärts, wo Eddie eine zweite Brücke sah. Diese war schon vor langer Zeit in den Send gestürzt. Die Überreste ragten als rostiges Durcheinander uralten Stahls aus dem Wasser.
»Was ist mir dir, Jake?« fragte Susannah.
»He, überhaupt kein Problem«, sagte Jake wie aus der Pistole geschossen. Er lächelte sogar.
»Ich hasse dich, Bengel«, sagte Eddie.
Roland sah Eddie besorgt an. »Wenn du glaubst, daß du es nicht schaffst, sag es gleich. Geh nicht halb rüber und bleib dann starr vor Angst stehen.«
Eddie sah lange über die verschobenen Flächen der Brücke, dann nickte er. »Ich glaube, ich schaffe es. Große Höhe ist noch nie meine starke Seite
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