Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
Revolvermann hatte dem Computer fünfzig oder mehr Rätsel gestellt, und Jake fand, dass das eine ganz schöne Menge waren, einfach so aus dem Gedächtnis geschüttelt und ohne Vorbereitung; wenn man allerdings bedachte, dass Rätsel dort, wo Roland aufgewachsen war, so eine große Rolle gespielt hatten…
Einen Teil von alledem schien er Jake im Gesicht abzulesen, weil nun ein zaghaftes, gallenbitteres Lächeln seine Mundwinkel umspielte, und er nickte, als hätte der Junge laut gesprochen. »Ich verstehe es auch nicht. Wenn du mich gestern oder vorgestern gefragt hättest, dann hätte ich dir gesagt, dass ich mindestens tausend Rätsel im Mülleimer meines Gedächtnisses aufbewahrt habe. Vielleicht sogar zweitausend. Aber…«
Er hob eine Schulter wie zu einem Achselzucken, schüttelte den Kopf und strich sich wieder mit der Hand über die Wange.
»Es ist nicht so, als hätte ich sie vergessen, eher so, als wären sie überhaupt nie da gewesen. Ich schätze, was mit dem Rest der Welt geschieht, geschieht auch mit mir.«
»Du bewegst dich weiter«, sagte Susannah und betrachtete Roland mit einem mitleidigen Ausdruck, den dieser nur ein oder zwei Sekunden ertragen konnte; es schien, als würde ihre Anteilnahme ihn verbrennen. »Wie alles andere hier.«
»Ja, das stimmt wohl.« Er sah Jake mit zusammengepressten Lippen und stechenden Augen an. »Wirst du mit den Rätseln aus deinem Buch bereit sein, wenn ich dich rufe?«
»Ja.«
»Gut. Und fass wieder Mut. Wir sind noch nicht am Ende.«
Draußen erlosch das leise Knistern der Elektrizität.
»ICH HABE MEINE BATTERIEN AUFGELADEN, UND ALLES IST IN ORDNUNG«, verkündete Blaine.
»Großartig«, sagte Susannah trocken.
»Tick!«, stimmte Oy zu und ahmte Susannahs sarkastischen Ton dabei genau nach.
»ICH MUSS NUN EINE REIHE VON UMSCHALTFUNKTIONEN DURCHFÜHREN. DIESE WERDEN ETWA VIERZIG MINUTEN BEANSPRUCHEN UND SIND WEITGEHEND AUTOMATISCH. WÄHREND DAS UMSCHALTEN VONSTATTEN GEHT UND DIE ZUGEHÖRIGE CHECKLISTE ABGEHAKT WIRD, WERDEN WIR UNSEREN WETTSTREIT FORTSETZEN. ICH FINDE GROSSEN GEFALLEN DARAN.«
»Wie wenn man auf dem Zug nach Boston von Elektrizität auf Diesel umsteigt«, sagte Eddie. Er hörte sich immer noch an, als wäre er nicht ganz bei ihnen. »In Hartford oder New Haven oder einem dieser anderen Käffer, wo niemand, der seine beschissenen fünf Sinne beisammen hat, wohnen wollte.«
»Eddie?«, sagte Susannah. »Was hast du…«
Roland berührte sie an der Schulter und schüttelte den Kopf.
»KÜMMERT EUCH NICHT UM EDDIE VON NEW YORK«, sagte Blaine mit seiner übertriebenen Herrgott-macht-das-aber-Spaß-Stimme.
»Ganz recht«, sagte Eddie. »Kümmert euch nicht um Eddie von New York.«
»ER KENNT KEINE GUTEN RÄTSEL. ABER DU KENNST VIELE, ROLAND VON GILEAD. VERSUCH ES MIT EINEM NEUEN.«
Und während Roland dieser Aufforderung nachkam, dachte Jake an seinen Abschlussaufsatz. Blaine ist eine Pein, hatte er dort geschrieben. Blaine ist eine Pein, und das ist die Wahrheit. Es war tatsächlich die Wahrheit.
Die letzte Wahrheit.
Nicht ganz eine Stunde später setzte sich Blaine der Mono wieder in Bewegung.
4
Susannah beobachtete voll grausiger Faszination, wie sich der blinkende Punkt Dasherville näherte, dieses passierte und dann die letzte Kurve der Fahrt einschlug. Die Bewegung des Pünktchens verriet, dass Blaine jetzt, nachdem er auf Batterie umgeschaltet hatte, etwas langsamer fuhr, und sie bildete sich ein, dass das Licht im Baronswagen etwas schwächer geworden war, aber sie glaubte nicht, dass es letztlich sonderlich viel ausmachen würde. Blaine mochte seine Endstation in Topeka mit sechshundert statt achthundert Meilen pro Stunde erreichen, seine letzten Passagiere würden bis dahin so oder so Zahnpasta sein.
Roland wurde ebenfalls langsamer und suchte immer tiefer im Mülleimer seines Gedächtnisses nach Rätseln. Aber er fand sie, und er weigerte sich aufzugeben. Wie immer. Seit er angefangen hatte, ihr Schießunterricht zu geben, empfand Susannah eine widerwillige Zuneigung zu Roland von Gilead, ein Gefühl, das eine Mischung aus Bewunderung, Angst und Mitleid zu sein schien. Sie glaubte, dass sie ihn nie richtig mögen würde (und der Detta-Walker-Teil in ihr würde ihn wahrscheinlich immer dafür hassen, wie er sie gepackt und, während sie noch tobte und raste, in die Sonne gezerrt hatte), aber ihre Zuneigung war dennoch stark. Schließlich hatte er Eddie Deans Leben und dessen Seele gerettet; hatte ihren
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