Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
ihr, sodass der Staub der Straße neben seinen klobigen Stiefeln aufflog. Im Sternenlicht sah sie, dass er wahrhaftig jung war, ungefähr in ihrem Alter. Seine Kleidung war die eines arbeitenden Cowboys, allerdings neu.
»Will Dearborn, zu Euren Diensten«, sagte er, dann zog er den Hut, streckte einen Fuß auf dem Absatz aus und verbeugte sich, wie es in den Inneren Baronien üblich war.
Diese absurde Ritterlichkeit hier draußen, im Nirgendwo, wo der ätzende Geruch des Ölfelds am Stadtrand schon in ihre Nasenlöcher drang, befreite sie von ihrer Furcht und brachte sie zum Lachen. Sie nahm an, dass es ihn wahrscheinlich beleidigen würde, aber stattdessen lächelte er. Ein gutes Lächeln, ehrlich und ungekünstelt, bei dem man ebenmäßige Zähne erkennen konnte.
Sie machte einen Knicks und hielt dabei eine Seite ihres Kleides hoch. »Susan Delgado, zu Euren Diensten.«
Er klopfte sich dreimal mit der rechten Hand an die Kehle. »Danke-sai, Susan Delgado. Ich hoffe, unsere Begegnung steht unter einem guten Stern. Ich wollte Euch nicht erschrecken…«
»Doch das habt Ihr ein wenig.«
»Ja, ich dachte es mir. Es tut mir Leid.«
Ja. Nicht aye, sondern ja . Ein junger Mann aus den Inneren Baronien, wie es sich anhörte. Sie sah ihn mit neu erwachtem Interesse an.
»Nay, Ihr müsst Euch nicht entschuldigen, war ich doch tief in Gedanken«, sagte sie. »Ich war eine… Freundin… besuchen und hatte nicht gemerkt, wie viel Zeit vergangen war, bis der Mond unterging. Falls Ihr aus Sorge angehalten habt, danke ich Euch, Fremder, aber Ihr solltet Eures Weges ziehen und ich meines. Ich muss nur noch zum Rand des Dorfes gehen – Hambry. Das ist nicht mehr weit.«
»Hübsch gesagt und reizend ausgedrückt«, antwortete er mit einem Grinsen, »aber es ist spät, Ihr seid allein, und ich finde, wir können auch gemeinsam weitergehen. Reitet Ihr, Sai?«
»Aye, aber im Ernst…«
»Dann kommt näher und lernt meinen Freund Rusher kennen. Er wird Euch die letzten beiden Meilen tragen. Er ist ein Wallach, Sai, und die Sanftmut in Person.«
Sie sah Will Dearborn mit einer Mischung aus Heiterkeit und Verärgerung an. Ein Gedanke ging ihr durch den Kopf: Wenn er mich noch einmal Sai nennt, als wäre ich eine Schulmeisterin oder seine tatterige alte Großtante, ziehe ich diese alberne Schürze aus und schlage sie ihm um die Ohren. »Mich hat etwas Temperament bei einem Pferd, das friedlich genug ist, einen Sattel zu tragen, nie gestört. Bis zu seinem Tod war mein Vater für des Bürgermeisters Pferde zuständig… und der Bürgermeister ist in dieser Gegend gleichzeitig Oberaufseher der Baronie. Ich bin mein Leben lang geritten.«
Sie dachte, er würde sich vielleicht entschuldigen, möglicherweise sogar ins Stottern geraten, aber er nickte nur mit einer ruhigen Bedächtigkeit, die ihr gefiel. »Dann tretet auf den Steigbügel, meine Lady. Ich werde an Eurer Seite gehen und Euch nicht mit meiner Unterhaltung behelligen, so Ihr sie nicht wünscht. Es ist spät, und Gespräche verlieren nach Monduntergang ihren Reiz, wie manche sagen.«
Sie schüttelte den Kopf und milderte ihre Ablehnung mit einem Lächeln. »Nay. Ich danke Euch für Eure Güte, aber vielleicht wäre es nicht gut für mich, sähe man mich um elf Uhr auf dem Pferd eines fremden jungen Mannes. Mit Zitronensaft lässt sich der Ruf einer Dame nicht reinwaschen wie ein Unterhemd, wisst Ihr.«
»Niemand hier draußen wird Euch sehen«, sagte der junge Mann mit einer vernünftigen Stimme, die einen rasend machen konnte. »Und dass Ihr müde seid, kann ich sehen. Kommt, Sai…«
»Bitte nennt mich nicht so. Dabei fühle ich mich so alt wie eine…« Sie zögerte einen Sekundenbruchteil und dachte noch einmal über das Wort nach
(Hexe)
das ihr als Erstes in den Sinn kam. »… wie eine alte Frau.«
»Dann Miss Delgado. Seid Ihr Euch wirklich sicher, dass Ihr nicht reiten wollt?«
»Ganz sicher. Ich würde in einem Kleid ohnehin nicht auf einem Herrensattel reiten, Mr. Dearborn – nicht einmal wenn Ihr mein Bruder wärt. Es schickt sich nicht.«
Er stieg nun selbst in den Steigbügel, griff über den Sattel (Rusher stand unterdessen gelassen da und zuckte nur mit den Ohren, mit denen Susan selbst nur zu gern gezuckt hätte, wäre sie an Rushers Stelle gewesen – so schön waren sie) und kam mit einem zusammengerollten Kleidungsstück in der Hand wieder herunter. Es war mit einer Wildlederschnur zusammengebunden. Sie hielt es für einen Poncho.
»Ihr
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