Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
ging nicht. Ihre Gedanken kehrten immer wieder zu Will Dearborn zurück.
Was für ein Pech sie gehabt hatte, ihn zu treffen! Ohne diese zufällige Begegnung auf dem Rückweg vom Cöos hätte sie inzwischen wahrscheinlich ihren Frieden mit der Lage gemacht, in der sie sich befand – schließlich war sie ein praktisch veranlagtes Mädchen, und ein Versprechen war ein Versprechen. Sie hätte sich nie träumen lassen, dass sie sich so zimperlich anstellen würde, wenn es um den Verlust ihrer Jungfräulichkeit ging, und die Aussicht, ein Kind zu empfangen und auszutragen, versetzte sie eigentlich sogar in Aufregung.
Aber Will Dearborn hatte alles verändert; hatte sich in ihrem Kopf eingenistet und hauste nun dort, ein Untermieter, der sich nicht mehr hinauswerfen ließ. Seine Bemerkung beim Tanzen blieb ihr erhalten wie eine Melodie, die man immer wieder summen musste, auch wenn man sie zutiefst verabscheute. Sie war grausam und auf dumme Weise selbstgerecht gewesen, diese Bemerkung… aber enthielt sie nicht auch ein Körnchen Wahrheit? Rhea hatte Recht gehabt, was Hart Thorin betraf, daran hegte Susan längst keinen Zweifel mehr. Sie vermutete, dass Hexen immer Recht hatten, sobald es um die Lust der Männer ging, auch wenn sie sich in allem anderen irrten. Kein glücklicher Gedanke, aber höchstwahrscheinlich ein wahrer.
Es war Will-der-Teufel-soll-dich-holen-Dearborn, der es ihr so schwer gemacht hatte, zu akzeptieren, was akzeptiert werden musste, der sie zu Auseinandersetzungen angestiftet hatte, bei denen sie ihre schrille und verzweifelte Stimme kaum wiedererkannte, der sie in ihren Träumen aufsuchte – in Träumen, wo er die Arme um ihre Taille legte und sie küsste, küsste, küsste.
Sie stieg ab und ging ein Stück bergab, während sie die Zügel locker in der Hand hielt. Pylon folgte ihr bereitwillig, und als sie stehen blieb, um in den blauen Dunst im Südwesten zu sehen, senkte er den Kopf und fing an zu grasen.
Sie dachte, dass sie Will Dearborn noch einmal sehen musste, und sei es nur, um sich eine Gelegenheit zu verschaffen, wieder zu Verstand zu kommen. Sie musste ihn in seiner richtigen Größe sehen, und nicht in jener, die er in ihren warmen Gedanken und noch wärmeren Träumen angenommen hatte. Wenn das erledigt war, konnte sie ihr Leben weiterleben und tun, was getan werden musste. Vielleicht hatte sie darum diesen Weg eingeschlagen – denselben, den sie gestern entlanggeritten war, und vorgestern, und vorvorgestern. Er ritt regelmäßig durch diesen Abschnitt der Schräge, das hatte sie auf dem unteren Marktplatz erfahren.
Sie wandte sich von der Schräge ab, weil sie plötzlich wusste, dass er da sein würde, als hätten ihre Gedanken ihn gerufen – oder ihr Ka.
Sie sah nur blauen Himmel und flache Hügelkämme, die sich so sanft erstreckten wie Schenkel und Hüften und Taille einer Frau, die auf der Seite im Bett lag. Susan fühlte eine bittere Enttäuschung in sich aufsteigen. Sie konnte sie fast im Mund schmecken, so wie feuchte Teeblätter.
Sie ging zu Pylon zurück, um nach Hause zurückzukehren und die Entschuldigung hinter sich zu bringen, die wohl angebracht war. Je früher sie das tat, desto früher wäre es überstanden. Sie griff nach dem linken Steigbügel, der ein wenig verdreht war, und in diesem Augenblick kam ein Reiter über den Horizont, genau an der Stelle, die für sie wie die Hüfte einer Frau aussah. Dort verweilte er, nur eine Silhouette zu Pferde, aber sie wusste sofort, wer es war.
Lauf weg!, sagte sie sich in plötzlicher Panik. Steig auf und galoppiere davon! Verschwinde von hier! Schnell! Bevor etwas Schreckliches passiert… bevor es wirklich das Ka ist, das wie ein Sturm daherkommt und dich mitsamt deinen Plänen himmelwärts und weit fort trägt!
Sie lief nicht weg. Sie stand mit Pylons Zügel in der Hand da und redete murmelnd auf ihn ein, als der rosillo auf einmal aufschaute und dem großen, rötlich braunen Wallach, der den Hügel herunterkam, eine Begrüßung zuwieherte.
Dann war Will da, zuerst hoch über ihr, von wo er herabschaute, dann stieg er mit einer anmutigen, geschmeidigen Bewegung ab, die sie trotz ihrer jahrelangen Erfahrung mit Pferden wohl niemals fertig gebracht hätte. Diesmal gab es kein ausgestrecktes Bein mit in den Sand gedrückter Ferse, keinen Hut, der bei einer komisch ernsten Verbeugung geschwenkt wurde; diesmal war der Blick, mit dem er sie bedachte, fest und ernst und beunruhigend erwachsen.
Sie sahen einander in der
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