Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
feststellen: »Es erfüllt mich mit Unbehagen. Ich kann dich kaum ansehen und dabei einen klaren Kopf bewahren.«
»Dann ist es vielleicht am besten, nicht zu sehen, nicht zu sprechen, nicht zu denken!« Ihre Stimme klang schneidend und ein wenig zitternd zugleich. Wie konnte er den Mut aufbringen, so etwas zu sagen, es einfach, ohne eine Miene zu verziehen, offen auszusprechen? »Warum habt Ihr mir den Blumenstrauß und die Nachricht geschickt? Ist Euch nicht klar, in welche Schwierigkeiten Ihr mich hättet bringen können? Wenn Ihr meine Tante kennen würdet…! Sie hat mich schon nach Euch gefragt, und wenn sie von der Nachricht wüsste… oder uns hier draußen zusammen sehen würde…«
Sie schaute sich um und vergewisserte sich, dass sie immer noch unbeobachtet waren. Sie waren es, jedenfalls soweit sie das feststellen konnte. Er streckte die Hand aus und berührte sie an der Schulter. Als sie ihn wieder ansah, da zog er die Finger zurück, als hätte er etwas Heißes berührt.
»Ich habe gesagt, was ich gesagt habe, damit du es verstehst«, sagte er. »Das ist alles. Ich fühle das, was ich fühle, und du bist nicht dafür verantwortlich.«
Doch, das bin ich, dachte sie. Ich habe dich geküsst. Ich glaube, ich bin mehr als nur ein bisschen dafür verantwortlich, wie wir beide fühlen, Will.
»Was ich beim Tanzen gesagt habe, bedaure ich von ganzem Herzen. Kannst du mir nicht verzeihen?«
»Aye«, sagte sie, und wenn er sie in diesem Augenblick in die Arme genommen hätte, hätte sie es zugelassen, zum Teufel mit den möglichen Folgen. Aber er nahm nur den Hut ab und machte vor ihr eine reizende knappe Verbeugung, und der Wind im Inneren erstarb.
»Danke, Sai.«
»Nenn mich nicht so. Ich hasse es. Mein Name ist Susan.«
»Wirst du mich Will nennen?«
Sie nickte.
»Gut. Susan, ich möchte dich etwas fragen – nicht als der Bursche, der dich beleidigt und gekränkt hat, weil er eifersüchtig war. Es geht um etwas völlig anderes. Darf ich?«
»Aye, ich denke schon«, sagte sie argwöhnisch.
»Bist du für den Bund?«
Sie sah ihn entgeistert an. Mit dieser Frage hatte sie als Allerletztes auf der Welt gerechnet… aber er sah sie ernst an.
»Ich hatte erwartet, dass Ihr und Eure Freunde Kühe und Gewehre und Speere und Boote und wer weiß was noch alles zählen würdet«, sagte sie, »aber nicht, dass Er auch die Befürworter des Bundes zählen würde.«
Sie sah seinen überraschten Gesichtsausdruck und ein verhaltenes Lächeln an seinen Mundwinkeln. Diesmal machte ihn das Lächeln älter, als er sein konnte. Susan dachte darüber nach, was sie gerade gesagt hatte, begriff, was ihm aufgestoßen sein musste, und stieß ein verlegenes Lachen aus. »Meine Tante hat die Angewohnheit, immer wieder in Er und Sie zu verfallen. Mein Vater hat das auch gemacht. Es geht auf eine Sekte des Alten Volkes zurück, die sich Freunde nannte.«
»Ich weiß. In meinem Teil der Welt existiert das Freundliche Volk noch.«
»Tatsächlich?«
»Ja… oder aye, wenn dir das besser gefällt; ich gewöhne mich daran. Und ich mag, wie die Freunde reden. Es hört sich so reizend an.«
»Nicht, wenn meine Tante es tut«, sagte Susan und dachte an den Streit wegen des Hemdes zurück. »Um deine Frage zu beantworten – aye, ich bin für den Bund, denke ich. Weil mein Da’ es war. Wenn du mich fragst, ob ich sehr für den Bund bin, dann vermutlich eher nicht. Heutzutage sehen und hören wir wenig von ihm. Hauptsächlich Gerüchte und Geschichten, die Streuner und weit gereiste Handlungsreisende erzählen. Jetzt, wo es keine Eisenbahn mehr gibt…« Sie zuckte die Achseln.
»Die meisten kleinen Leute, mit denen ich gesprochen habe, scheinen ähnlich zu denken. Aber dein Bürgermeister Thorin…«
»Er ist nicht mein Bürgermeister Thorin«, sagte sie schärfer als beabsichtigt.
»Nun ja, der Bürgermeister der Baronie hat uns jede Hilfe zuteil werden lassen, um die wir gebeten hatten, und auch welche, um die wir nicht gebeten hatten. Ich muss nur mit den Fingern schnippen, und schon steht Kimba Rimer vor mir.«
»Dann schnipp eben nicht damit«, sagte sie und sah sich unwillkürlich um. Sie versuchte zu lächeln, um zu zeigen, dass es ein Scherz gewesen war, aber es gelang ihr nicht besonders gut.
»Das Stadtvolk, die Fischersleute, die Farmer, die Cowboys… alle sprechen nur gut über den Bund, wenn auch distanziert. Der Bürgermeister jedoch, sein Kanzler und die Mitglieder des Pferdezüchterverbands, Lengyll und
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