Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
es ist wunderschön, das stimmt. Was siehst du sonst noch?«
»Pferde, ’ne ganze Herde.« Sie lächelte, um zu zeigen, dass es scherzhaft gemeint war (tatsächlich war es ein alter Scherz ihres Da’), aber er erwiderte das Lächeln nicht. Hübsch anzusehen und mutig, wenn die Geschichten stimmten, die man sich in der Stadt erzählte; und schnell im Denken wie im Handeln. Aber wirklich nicht viel Sinn für Humor. Nun, es gab schlimmere Unzulänglichkeiten. Einem Mädchen an den Busen zu fassen, wenn es nicht damit rechnete, mochte eine davon sein.
»Pferde. Ja. Aber meinst du, es ist die richtige Anzahl? Du hast dein Leben lang Pferde auf der Schräge gesehen, und bestimmt wäre niemand außerhalb des Pferdezüchterverbandes so befähigt wie du, eine Antwort zu geben.«
»Und denen traust du nicht?«
»Sie haben uns alles gegeben, was wir wollten, und sind freundlicher als Hunde unter dem Esstisch, aber nein – ich glaube nicht.«
»Aber mir vertraust du.«
Er sah sie mit seinen wunderschönen und Furcht einflößenden Augen gelassen an – ein dunkleres Blau, als sie später annehmen würden, noch nicht in zehntausend Wandertagen von der Sonne ausgebleicht. »Ich muss jemandem vertrauen«, wiederholte er.
Sie senkte den Blick, als hätte er sie zurechtgewiesen. Er streckte eine Hand aus, hielt ihr sanft die Finger unter das Kinn und hob das Gesicht wieder hoch. »Scheint es die richtige Anzahl zu sein? Denk gründlich nach!«
Aber jetzt, wo er sie darauf aufmerksam gemacht hatte, musste sie nicht weiter darüber nachdenken. Sie hatte die Veränderung irgendwie schon seit geraumer Zeit bemerkt, aber die Veränderung war allmählich vonstatten gegangen und leicht zu übersehen gewesen.
»Nein«, sagte sie schließlich. »Sie ist nicht richtig.«
»Zu wenig oder zu viel? Was?«
Sie blieb einen Moment stumm. Holte Luft. Ließ sie als lang gezogenen Seufzer entweichen. »Zu viele. Viel zu viele.«
Will Dearborn hob die geballten Fäuste in Schulterhöhe und schüttelte sie einmal heftig. Seine blauen Augen blitzten wie die Funkenlichter, von denen ihr Grandda’ ihr erzählt hatte. »Ich wusste es«, sagte er. »Ich wusste es.«
8
»Wie viele Pferde sind da unten?«, fragte er.
»Unter uns? Oder auf der gesamten Schräge?«
»Nur unter uns.«
Sie sah genau hin, machte aber keinen Versuch, genau zu zählen. Das würde sowieso nicht gelingen und verwirrte einen nur. Sie sah vier größere Gruppen mit jeweils rund zwanzig Pferden, die fast genauso auf dem Grün dahinzogen wie die Vögel über ihnen vor dem Blau. Es waren etwa neun kleinere Gruppen, von vier bis acht Tieren… mehrere Paare (die sie an Liebespaare erinnerten, aber das schien heute bei fast allem so zu sein)… ein paar galoppierende Einzelgänger – überwiegend junge Hengste…
»Hundertsechzig?«, sagte er mit einer leisen, fast zögernden Stimme.
Sie sah überrascht zu ihm auf. »Aye. Hundertsechzig hatte ich auch gedacht. Auf den Punkt genau.«
»Und wie viel von der Schräge sehen wir? Ein Viertel? Oder ein Drittel?«
»Viel weniger.« Sie schenkte ihm ein kurzes Lächeln. »Wie Er wohl weiß, glaube ich. Vielleicht ein Sechstel der gesamten freien Weidefläche.«
»Wenn auf jedem Sechstel hundertundsechzig Pferde frei grasen, macht das…«
Sie wartete darauf, dass er neunhundertsechzig sagen würde. Als er es tat, nickte sie. Er schaute noch einmal hinunter und stieß gleich darauf einen überraschten Laut aus, weil Rusher ihn mit der Nase ins Kreuz stupste. Susan hielt eine hohle Hand vor den Mund, um ein Lachen zu unterdrücken. An der ungeduldigen Art, wie er die Schnauze des Pferdes wegdrückte, konnte sie erkennen, dass ihm immer noch nur wenige Dinge lustig vorkamen.
»Wie viele stehen noch in den Ställen oder sind beim Zureiten oder Arbeiten, was meinst du?«, fragte er.
»Eines auf drei da unten. Schätzungsweise.«
»Also sprechen wir von zwölfhundert Pferden. Ausnahmslos Tiere mit guter Erblinie, keine Muties.«
Sie sah ihn gelinde überrascht an. »Aye. Es gibt fast keine Muties hier in Mejis… in keiner der Äußeren Baronien, was das betrifft.«
»Ihr zieht mehr als drei gesunde von fünf Fohlen auf?«
»Wir ziehen alle auf! Natürlich haben wir ab und zu einmal eine Missbildung, die getötet werden muss, aber…«
»Nicht mal eine Missbildung unter fünf Lebendgeburten? Ein Fohlen von fünf, das mit…« Wie hatte Renfrew sich ausgedrückt: »Mit zusätzlichen Beinen oder den Eingeweiden
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