Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
manchmal trieben es drei oder vier oder mehr gleichzeitig (manchmal sogar mit Partnern, die nicht im eigentlichen Sinne am Leben waren) –, und der Kokolores interessierte sie in ihrem hohen Alter nicht mehr besonders. Sie interessierte vielmehr, was nach dem Kokolores kommen würde.
Sind wir jetzt fertig?, hatte das Mädchen gefragt.
Vielleicht ist da noch eine winzige Sache, hatte Rhea geantwortet und der anmaßenden Trulla gesagt, was sie zu tun hatte.
Aye, sie hatte dem Mädchen eindeutige Anweisungen gegeben, als sie beide an der Tür der Hütte standen und der Kussmond auf sie herabschien, während Susan Delgado den fremden Schlaf schlief und Rhea den Zopf des Mädchens streichelte und ihm Anweisungen ins Ohr flüsterte. Nun würde die Erfüllung dieses Zwischenspiels kommen… Das wollte sie sehen, und nicht zwei Säuglinge, die einander pimperten, als wären sie die beiden Ersten auf der Welt, die entdeckt hatten, wie es gemacht wurde.
Zweimal hatten sie es getrieben und dazwischen kaum eine Pause für Geplauder eingelegt (und dabei hätte sie viel darum gegeben, dieses Geplauder auch hören zu können). Rhea war nicht überrascht; in diesem jugendlichen Alter hatte der Bengel wahrscheinlich genug Saft in seinem Beutel, dass er ihr eine Wochenration von Doppelnummern hätte besorgen können, und so, wie sich die kleine Schlampe aufführte, wäre das wohl nach ihrem Geschmack gewesen. Manche kamen auf den Geschmack und wollten nie wieder was anderes. Die Kleine war so eine von denen, dachte Rhea.
Aber lass uns mal sehen, wie spitz du dich in ein paar Minuten noch fühlst, du vorlaute Schlampe, dachte sie und beugte sich tiefer in das pulsierende rosa Licht der Glaskugel. Manchmal konnte sie spüren, wie ihr dieses Licht in den Schädelknochen Schmerzen zufügte… aber es waren gute Schmerzen. Aye, sehr gute.
Schließlich waren sie mit dem Spielchen fertig… zumindest vorerst. Sie hielten einander an den Händen und dösten ein.
»Jetzt«, murmelte Rhea. »Jetzt, meine Kleine. Sei ein braves Mädchen, und tu, was dir gesagt wurde.«
Susan schlug die Augen auf, als hätte sie die Worte vernommen – aber der Blick war ausdruckslos. Sie war wach und schlief doch zugleich. Rhea sah, wie sie die Hand behutsam aus der des Jungen löste. Sie richtete sich auf, nackte Brüste an nackten Schenkeln, und sah sich um. Sie stand auf…
In diesem Augenblick sprang Musty, der sechsbeinige Kater, Rhea auf den Schoß und miaute, weil er entweder Futter oder Zuwendung wollte. Die alte Frau schrie vor Überraschung auf, und das Zaubererglas wurde sofort dunkel – ausgeblasen wie eine Kerzenflamme von einem Windstoß.
Rhea schrie wieder, diesmal vor Wut, und packte die Katze, ehe diese die Flucht ergreifen konnte. Sie warf den Kater quer durch das Zimmer in den offenen Kamin. Der Kamin war so tot und erloschen, wie es ein Kamin im Hochsommer nur sein kann, aber als Rhea mit einer knochigen, gichtigen Hand darauf zeigte, loderte eine gelbe Flamme von dem einzigen verkohlten Scheit empor, das darin lag. Musty kreischte und floh mit aufgerissenen Augen aus dem Kamin, während sein gespaltener Schwanz wie eine achtlos ausgedrückte Zigarre rauchte.
»Lauf, aye!«, keifte Rhea hinter ihm her. »Schaff dich fort, du garstiger Gesell!«
Sie drehte sich wieder zur Glaskugel um und spreizte die Hände darüber, Daumen an Daumen. Aber obwohl sie sich mit aller Macht konzentrierte und alle Willenskraft aufbot, bis ihr das Herz mit einer kranken Wut in der Brust schlug, gelang es ihr nicht, das rosa Leuchten der Kugel wieder zu entfachen. Nicht ein einziges Bild zeigte sich. Was eine herbe Enttäuschung war, aber leider ließ sich nichts dagegen machen. Aber schließlich konnte sie die Folgen ja auch mit eigenen Augen begutachten, wenn sie einmal die Lust überkommen sollte, in die Stadt zu gehen, um nachzusehen.
Alle würden es sehen können.
Nachdem ihre gute Laune wieder hergestellt war, legte Rhea die Glaskugel in das Versteck zurück.
10
Nur Augenblicke, bevor er so tief schlief, dass er das, was gerade geschah, nicht mehr mitbekam, ertönte in Rolands Kopf eine Alarmglocke. Vielleicht lag es an der verschwommenen Wahrnehmung, dass ihre Hand nicht mehr in seiner lag; vielleicht war es reine Eingebung. Er hätte die leise Glocke einfach nicht weiter beachten können, und beinahe hätte er das auch nicht getan, aber am Ende gewann doch seine Ausbildung die Überhand. Er entfernte sich von der Schwelle des
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