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Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Titel: Der dunkle Turm - Gesamtausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Befürchtung, das Mädchen könne eine Dummheit begehen, bevor der Tag der Ernte kam, ließ sich nicht mehr unterdrücken.
    Diese Gedanken wurden ebenso aus ihrem Denken gerissen wie die Lebensmittelkiste von Händen – kräftigen Händen – aus ihren Armen. Cordelia keifte überrascht, schirmte die Augen vor der Sonne ab und sah dann Eldred Jonas zwischen den Totems von Bär und Schildkröte stehen und sie anlächeln. Sein Haar, lang und weiß (und ihrer Meinung nach wunderschön), fiel ihm auf die Schultern. Cordelia spürte, wie ihr Herz etwas schneller schlug. Sie hatte sich stets zu Männern wie Jonas hingezogen gefühlt, die ihr Lächeln und ihr Geplänkel bis an die Grenze des Gewagten treiben konnten… sich aber gerade hielten wie eine Klinge.
    »Ich habe Sie erschreckt. Ich erflehe Ihre Verzeihung, Cordelia.«
    »Nay«, sagte sie und hörte sich in ihren Ohren ein bisschen atemlos dabei an. »Es ist nur die Sonne – so grell um diese Tageszeit…«
    »Ich werde Sie ein Stück auf Ihrem Weg begleiten, wenn Sie gestatten. Ich gehe zwar nur bis zur nächsten Ecke der Hauptstraße und biege dann in die Hill ab, aber darf ich Ihnen bis dahin behilflich sein?«
    »Mit bestem Dank«, sagte sie. Sie gingen die Stufen hinunter auf den Bohlengehsteig, und Cordelia spähte unauffällig in alle Richtungen, wer sie sehen mochte – sie an der Seite des stattlichen Sai Jonas, der zufällig ihre Einkäufe trug. Eine zufrieden stellende Anzahl Zuschauer waren zugegen. Sie sah zum Beispiel Millicent Ortega, die ihren dummen Kuhmund zu einem O der Überraschung geformt hatte, aus dem Schaufenster des Kleiderladens, Anns, gaffen.
    »Ich hoffe, es stört Sie nicht, wenn ich Sie Cordelia nenne.« Jonas klemmte sich die Kiste, für die sie zwei Hände gebraucht hatte, mühelos unter einen Arm. »Seit dem Empfangsessen im Haus des Bürgermeisters kommen Sie mir wie eine alte Bekannte vor.«
    »Cordelia reicht vollauf.«
    »Und würden Sie mich Eldred nennen?«
    »Ich glaube, ›Mr. Jonas‹ wird es noch eine Weile tun«, sagte sie und schenkte ihm ein, wie sie hoffte, kokettes Lächeln. Ihr Herz schlug jetzt noch schneller. (Auf den Gedanken, dass Susan möglicherweise nicht die einzige dumme Gans in der Familie Delgado war, kam sie nicht.)
    »So sei es«, sagte Jonas mit einem dermaßen komischen Ausdruck der Enttäuschung im Gesicht, dass sie lachen musste. »Und Ihre Nichte? Geht es ihr gut?«
    »Recht gut, danke der Nachfrage. Manchmal ist sie eine rechte Plage…«
    »Welches sechzehnjährige Mädchen wäre das nicht gewesen?«
    »Da habt Ihr wohl Recht.«
    »Und doch tragen Sie ihretwegen eine zusätzliche Last in diesem Herbst. Obwohl ich bezweifle, dass ihr das klar ist.«
    Cordelia sagte nichts – es wäre nicht diskret gewesen –, sah ihn aber mit einem bedeutsamen Blick an, der alles sagte.
    »Bitte bestellen Sie ihr meine Grüße.«
    »Das werde ich.« Aber das würde sie nicht. Susan hatte eine große (und nach Cordelias Meinung unsinnige) Abneigung gegen Bürgermeister Thorins Regulatoren entwickelt. Es würde wahrscheinlich nichts nützen, wenn sie versuchte, ihr das auszureden; junge Mädchen bildeten sich ja stets ein, sie wüssten alles. Sie betrachtete den Stern, der unauffällig unter dem Kragen von Jonas’ Jacke hervorlugte. »Wie ich sehe, habt Ihr eine weitere Verantwortung in unserer unwürdigen Stadt übernommen, Sai Jonas.«
    »Aye, ich helfe Sheriff Avery aus«, sagte er nickend. Seine Stimme bebte auf eine zittrige Weise, die Cordelia irgendwie ganz reizend fand. »Einer seiner Hilfssheriffs – Claypool, so heißt er…«
    »Frank Claypool, aye.«
    »… ist aus seinem Boot gefallen und hat sich ein Bein gebrochen. Wie stellt man das wohl an, Cordelia? Aus einem Boot fallen und sich das Bein brechen?«
    Sie lachte herzlich (die Vorstellung, dass ganz Hambry sie beide beobachtete, entsprach sicher nicht der Wahrheit… aber ihr kam es so vor, und das Gefühl war nicht unangenehm) und sagte, sie könne es sich eigentlich nicht vorstellen.
    Er blieb mit einem Ausdruck des Bedauerns auf dem Gesicht an der Ecke Hauptstraße und Camino Vega stehen. »Hier muss ich abbiegen.« Er gab ihr die Kiste zurück. »Sind Sie sich sicher, dass Sie das tragen können? Ich sollte Sie vielleicht bis zu Ihrem Haus begleiten…«
    »Nicht nötig, nicht nötig. Danke. Danke, Eldred.« Die Röte, die ihr an Hals und Wangen emporstieg, fühlte sich so heiß wie Feuer an, aber sein Lächeln war jedes Ausmaß an Hitze

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