Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
eingreifen konnten; ob gut oder schlecht, die Schüler hatten die Schule für sich allein. Was, wenn er sie tiefer führte, aber nicht mehr zurückbringen konnte? Und man hatte ihm gesagt, dass Dämonen im Unterbewusstsein lauerten. Wenn man hinabstieg, wo sie sich aufhielten, kamen sie manchmal aus ihren Höhlen geschwommen, um einem aufzulauern…
Abgesehen von allen anderen Einwänden, es wurde spät. Es wäre nicht klug, noch länger hier zu verweilen.
»Susan, kannst du mich hören?«
»Aye, Roland, ich höre dich sehr wohl.«
»Gut. Ich werde jetzt einen Vers aufsagen. Während ich ihn aufsage, wirst du erwachen. Sobald ich damit fertig bin, wirst du wach sein und dich an alles erinnern, was ich gesagt habe. Hast du verstanden?«
»Aye.«
»Hör zu: Vogel und Bär und Fisch und Hase/Lest meiner Liebsten jeden Wunsch von der Nase.«
Ihr Lächeln, nachdem sie wieder zu sich gekommen war, war einer der schönsten Anblicke, die sich ihm je geboten hatten. Sie streckte sich und legte ihm die Arme um den Hals und bedeckte sein Gesicht mit Küssen. »Du, du, du, du«, sagte sie. »Du bist mein einziger Wunsch. Du und du, für immer und immer.«
Sie liebten sich noch einmal am Ufer, neben dem murmelnden Bach, hielten dabei einander so fest, wie sie nur konnten, atmeten einander in den Mund und lebten vom Atem des anderen. Du, du, du, du.
13
Zwanzig Minuten später half er ihr auf Felicias Rücken. Susan beugte sich herab, nahm sein Gesicht zwischen die Hände und küsste ihn innig.
»Wann werde ich dich wiedersehen?«, fragte sie.
»Bald. Aber wir müssen vorsichtig sein.«
»Aye. So vorsichtig, wie zwei Liebende nur jemals waren, wie mir scheint. Den Göttern sei Dank, dass du so schlau bist.«
»Wir könnten wieder Sheemie in Anspruch nehmen, wenn es nicht allzu oft geschieht.«
»Aye. Und, Roland – kennst du den Pavillon im Green-Heart-Park? Ganz in der Nähe der Stelle, wo bei schönem Wetter immer Tee und Kuchen serviert wird?«
Roland kannte den Park. Der Green Heart, vom Gefängnis und der Stadthalle aus fünfzig Schritte weiter die Hill Street hinauf gelegen, war mit seinen hübschen Wegen, den Tischen unter den Sonnenschirmen, dem Tanzpavillon auf dem Rasen und dem Tiergehege eines der schönsten Fleckchen in der Stadt.
»Dahinter ist eine Steinmauer«, sagte sie. »Zwischen dem Pavillon und der Menagerie. Wenn du mich dringend brauchst…«
»Ich werde dich immer dringend brauchen«, sagte er.
Sie lächelte über sein ernsthaftes Gebaren. »In einer der unteren Reihen gibt es einen Stein – einen rötlichen. Du wirst ihn finden. Meine Freundin Amy und ich haben dort einander Nachrichten hinterlassen, als wir noch klein waren. Ich werde dort nachsehen, wenn ich die Gelegenheit dazu habe. Das solltest du auch immer tun.«
»Aye.« Mit Sheemie konnte es eine Zeit lang klappen, wenn sie vorsichtig waren. Auch mit dem roten Stein konnte es eine Zeit lang klappen, wenn sie vorsichtig waren. Aber wie vorsichtig sie auch sein mochten, irgendwann würden sie sich verraten, weil die Großen Sargjäger inzwischen wahrscheinlich mehr über Roland und seine Freunde wussten, als ihm lieb war. Aber er musste sie sehen, ganz gleich, wie hoch das Risiko war. Er hatte das Gefühl, sterben zu müssen, wenn er das nicht täte. Und er musste sie nur kurz anschauen, um zu wissen, dass sie ebenso fühlte.
»Gib besonders auf Jonas und die beiden anderen Acht«, sagte er.
»Das werde ich. Noch einen Kuss, wenn du magst?«
Er küsste sie mit Freuden und hätte sie ebenso gern für eine vierte Runde vom Rücken der Stute gezogen… aber es war an der Zeit, wieder aus dem Sinnestaumel zu erwachen und vorsichtig zu sein.
»Gehab dich wohl, Susan, ich liebe d…« Er hielt inne und lächelte. »Ich liebe Sie.«
»Und ich Ihn, Roland. Mein Herz gehört Ihm allein.«
Sie hat ein großes Herz, dachte er, als sie zwischen den Weiden verschwand, und er spürte das Gewicht ihres Herzens bereits auf dem eigenen lasten. Er wartete, bis er meinte, dass sie weit genug weg sein würde. Dann ging er zu Rusher und ritt in die entgegengesetzte Richtung, wohl wissend, dass ein neuer und gefährlicher Teil des Spiels begonnen hatte.
14
Nicht lange nachdem Susan und Roland sich verabschiedet hatten, kam Cordelia Delgado mit einer Kiste Lebensmittel und sorgenschweren Gedanken aus dem Gemischtwarenladen von Hambry. Sorgen machte sie sich natürlich wegen Susan, wie immer Susan, und Cordelias
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