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Der dunkle Wächter

Der dunkle Wächter

Titel: Der dunkle Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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Krallen des Engels erschienen in der Öffnung, und einen Augenblick später klammerte sich der Körper des Ungeheuers an die Fassade wie eine Spinne.
    »Mein Gott…«, wimmerte Irene.
    Ismael versuchte zurückzuweichen und zog sie hinter sich her. Der Engel kroch über den Stein; seine Gestalt verschmolz beinahe mit den teuflischen Fratzen der Wasserspeier, die den Dachfries der Fassade von Cravenmoore zierten.
    Der Junge sondierte in fliegender Hast die Möglichkeiten, die sich ihnen boten. Unterdessen kam das Geschöpf Handbreit für Handbreit näher.
    »Ismael…«
    »Ja, ich weiß!«
    Der Junge wägte ihre Chancen ab, einen Sprung aus dieser Höhe zu überleben. Sie lagen bei Null, großzügig betrachtet. Ins Zimmer zurückzuklettern dauerte zu lange. In der Zeit, die sie brauchten, um auf dem Gesims umzukehren, würde der Engel sie erwischen. Er wusste, dass ihm nur ein paar Sekunden blieben, um eine Entscheidung zu treffen, wie auch immer diese ausfiel. Irenes Hand umklammerte die seine; sie zitterte. Der Junge warf einen letzten Blick auf den Engel, der langsam, aber unausweichlich auf sie zukroch. Er schluckte und sah in die andere Richtung. Neben ihnen führte das Fallrohr der Regenrinne nach unten. Die eine Hälfte seines Hirns fragte sich, ob diese Konstruktion das Gewicht zweier Personen aushalten würde, während die andere Hälfte darüber nachsann, wie man dieses dicke Rohr zu packen bekommen könnte. Ihre letzte Chance.
    »Klammere dich ganz fest an mich«, flüsterte er.
    Irene sah ihn an, dann schaute sie nach unten in den Abgrund und erriet seinen Gedanken.
    »Oh mein Gott!«
    Ismael zwinkerte ihr zu.
    »Viel Glück«, sagte er leise.
    Die Klaue des Engels bohrte sich nur wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt in den Stein. Irene schrie auf und umklammerte mit geschlossenen Augen Ismaels Rücken. In schwindelerregendem Fall ging es abwärts. Als das Mädchen die Augen wieder öffnete, befanden sie sich über dem Nichts. Ismael rutschte praktisch ungebremst das Fallrohr hinunter. Der Magen hing ihm bis zum Hals. Über ihnen rüttelte der Engel an dem Rohr und schlug es gegen die Fassade. Ismael spürte, wie ihm die Reibung erbarmungslos die Haut von den Händen und Unterarmen riss und eine starke Hitze erzeugte, die sich binnen Sekunden in einen rasenden Schmerz verwandeln würde. Der Engel kroch auf sie zu, er versuchte das Rohr zu umklammern… und riss es mit seinem Eigengewicht aus der Wand.
    Die metallische Masse des Ungeheuers stürzte in die Tiefe und riss das ganze Regenrohr mit sich, das sich mitsamt Ismael und Irene durch die Luft bis zum Boden bog. Der Junge versuchte, nicht die Kontrolle zu verlieren, doch der Schmerz und die Geschwindigkeit, mit der sie fielen, waren stärker.
    Das Rohr entglitt seinen Händen, und die beiden stürzten auf den großen Teich zu, der neben dem Westflügel von Cravenmoore lag. Der Aufprall auf die kalte, schwarze Wasserfläche war sehr heftig. Die Geschwindigkeit des Falls beförderte sie bis auf den glitschigen Grund des Sees. Irene spürte, wie das eiskalte Wasser in ihre Nase drang und in ihrer Kehle brannte. Eine Welle panischer Angst überrollte sie. Sie öffnete die Augen unter Wasser und sah vor lauter Brennen nur ein schwarzes Loch. Da tauchte neben ihr eine Gestalt auf: Ismael. Der Junge packte sie und brachte sie an die Oberfläche. Prustend tauchten die beiden auf.
    »Schnell«, drängte Ismael.
    Irene bemerkte die Abschürfungen und Wunden an seinen Händen und Armen.
    »Das ist nichts«, log der Junge, während er aus dem Teich kletterte.
    Sie folgte ihm. Ihre Kleider waren klatschnass und klebten in der nächtlichen Kälte an ihrer Haut wie ein schmerzender Panzer aus Eis. Ismael spähte in die Dunkelheit.
    »Wo ist er?«, fragte Irene.
    »Vielleicht ist er beim Aufprall um-«
    Etwas bewegte sich im Gebüsch. Sie erkannten die glutroten Augen sofort. Der Engel war immer noch da, und was auch immer ihn antrieb, er war nicht bereit, sie lebend davonkommen zu lassen.
    »Renn!«
    Die beiden stürzten, so schnell sie konnten, auf den Waldrand zu. Ihre nassen Kleider behinderten sie, und die Kälte begann ihnen in die Knochen zu dringen. Die Geräusche des Engels folgten ihnen durchs Unterholz. Ismael zog das Mädchen hinter sich her, immer tiefer in den Wald hinein, wo der Nebel dichter wurde.
    »Wohin laufen wir?«, keuchte Irene, als sie merkte, dass sie einen Teil des Waldes betraten, den sie nicht kannte.
    Ismael hielt sich nicht damit

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