Der Earl und sein verführerischer Engel (Historical) (German Edition)
meiner Abreise verletzt. Das tut mir leid.“
Kurz erkannte er ihre ganze Verwundbarkeit in ihrem Blick, doch im nächsten Moment hatte sie ihre Gefühle schon wieder hinter einer Maske der Ausdruckslosigkeit verborgen. Trotz ihrer Aussage, dass es für sie keine Rolle spielte, wusste Stephen es besser, und er hatte den dringenden Wunsch, seinen Fehler wiedergutzumachen und von vorne zu beginnen.
Ohne die Entschuldigung anzunehmen, erwiderte sie: „Lass uns hineingehen.“
Das Herrenhaus hatte vierzehn Zimmer. Stephen konnte sich nicht daran erinnern, es jemals komplett möbliert und mit allen Gemälden an der Wand gesehen zu haben. Die Ziegelsteinfassade war überwuchert von Efeu, dessen Ranken inzwischen auch über die Fenster kletterten. Beim Anblick der geborstenen Scheiben und der vor sich hin rottenden Holzrahmen spürte Stephen Verzweiflung in sich aufsteigen.
„Willst du wirklich mit hineingehen?“
Emily nickte. „Es war nicht immer so.“ Sie stieg die bröckelnde Steintreppe hinauf und tastete über die Wand neben dem Eingang, bis sie einen losen Ziegel entdeckte. Sie zog ihn hervor, griff in das Loch und brachte einen eisernen Schlüssel zum Vorschein. Als sie die Tür aufstieß, schlug ihnen ein durchdringender Geruch nach Staub entgegen.
Nichts von Wert war im Haus verblieben. Helle Flecken an den Wänden zeugten davon, dass dort früher Gemälde gehangen hatten. Im Gesellschaftszimmer entdeckte Stephen ein altes, von Motten zerfressenes Sofa, und die grünen Samtvorhänge an den Fenstern waren von Spinnenweben bedeckt.
„Daniel hat sogar die Etagere verkauft“, sagte Emily wehmütig. „Kurz vor unserer Hochzeit. Ich habe es geliebt, über das Holz zu streichen. Meine Mutter hatte Figuren aus Porzellan darauf stehen.“
„Warst du glücklich hier?“
Sie schüttelte den Kopf. „Sie haben sich immer wegen Geld gestritten oder darüber, welchen Einrichtungsgegenstand sie als Nächstes verkaufen sollten. Und nach Papas Tod …“
Erschaudernd verstummte sie. Die Tragödie ihrer Familie war in zahlreichen Salons Gesprächsthema gewesen. Ihr Vater hatte darauf verzichtet, seine Familie um Hilfe zu bitten, und es stattdessen vorgezogen, sich zu erhängen. Sie schlug die Hände vors Gesicht und versuchte, die Fassung zu bewahren.
„Warst du hier, als es passierte?“
„Ich habe ihn abgeschnitten.“
„Und dein Bruder?“, fragte Stephen fassungslos. „Wo war er?“
„Beim Kartenspiel“, entgegnete Emily und holte tief Luft. „Er hat sogar gewonnen – was selten genug vorkam.“
Stephen legte ihr tröstend den Arm um die Schultern und suchte nach Worten, um sie wissen zu lassen, wie sehr er das Geschehene bedauerte. „Es ist nicht richtig, dass du einer solchen Tragödie allein ins Gesicht sehen musstest.“
„Ich war nicht allein, Daniels Frau war auch hier. Aber sie war schwanger und konnte nicht helfen. Ich hätte es verhindern müssen“, setzte sie hinzu.
„Es war nicht deine Schuld. Niemand macht dir einen Vorwurf.“
„Nein, aber es ist eine bequeme Ausrede für die Damen der feinen Gesellschaft, mich aus den Salons fernzuhalten. Sie kennen meine Herkunft, Stephen.“ Sie deutete auf den leeren Raum. „Das hier bin ich.“
„Nein. Es war einfach nur eine Tragödie, die nichts über deinen Charakter aussagt.“
Sie erwiderte nichts darauf, als wäre es nicht der Mühe wert, mit ihm zu streiten. An ihrem Blick erkannte er, dass sie ihm nicht glaubte. Elegante Kleider würden nicht reichen, die Demütigung, die sie erlitten hatte, zu überwinden, und er hatte keine Ahnung, ob er je etwas daran würde ändern können.
„Lass uns in Daniels Arbeitszimmer gehen“, schlug sie vor. „Vielleicht finden wir dort Unterlagen, aus denen hervorgeht, was an dem Abend passiert ist, als man dich überfallen hat.“
Der Raum war völlig verwüstet. Sie umrundeten den umgestürzten Schreibtisch und traten auf zerbrochenes Glas, dann sahen sie, dass überall Papiere herumlagen. Irgendjemand war ihnen zuvorgekommen und hatte ihn gründlich durchsucht.
Emily versuchte, den schweren Tisch wieder aufzurichten. „Ich bin sicher, das war der Mann, der mich angegriffen hat.“
Stephen half ihr, und gemeinsam hoben sie die Schubladen auf. „Ganz meine Meinung. Aber vielleicht hat er doch etwas übersehen.“
Die nächste Stunde verbrachten sie damit, Papiere zu sortieren und die wenigen Möbel an ihren Platz zu rücken. Zwar hatte Stephen gewusst, dass die Barrows nichts mehr
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