Der Earl und sein verführerischer Engel (Historical) (German Edition)
besaßen, aber die Zustände, denen er sich gegenübersah, waren viel schlimmer, als er angenommen hatte. Und es war noch nicht lange her, dass Emily und die Kinder hier gelebt hatten. Stephen mochte gar nicht daran denken, dass es in dem Haus womöglich auch Ratten gab, mit denen seine Familie unter einem Dach gelebt hatte.
Meine Familie, dachte er ernüchtert. Er war für ihren Schutz und ihr Wohlergehen verantwortlich. Obwohl Royce und Victoria nicht mit ihm verwandt waren, hatte er sich an sie gewöhnt. Gleichgültig, ob er die Vormundschaft behielt oder nicht, er würde dafür sorgen, dass keiner von ihnen jemals wieder in so erbärmlichen Umständen leben musste.
Als er sich einen neuen Stapel Papiere nahm, um ihn zu durchforschen, fiel ihm ein kleines Zinnpferd ins Auge, das zu Royces Spielzeugsoldaten passte. Er steckte es in seine Westentasche und nahm sich vor, es dem Jungen später zu geben.
„Sieh dir das an.“ Emily reichte ihm ein gebundenes Dokument.
Stephen blätterte es durch und hielt inne, als er den Schiffsnamen Lady Valiant las. Doch einige Seiten der Akte fehlten.
„Diese Aufzeichnungen sind von mir, nicht von Daniel“, bemerkte er stirnrunzelnd und fragte sich, wie Emilys Bruder an die Papiere gekommen sein mochte. „Was meinst du …“ Er verstummte, als ein dunkelhäutiger Inder in einem wallenden beigefarbenen Gewand den Raum betrat.
Der Mann war nicht groß, aber er bewegte sich mit der gefährlichen Anmut einer Raubkatze. Plötzlich flammte eine Vision vor Stephens innerem Auge auf. Dieser Mann hatte einen Dolch erhoben und einen tödlichen Streich geführt … ein fruchtbarer Schmerz schoss durch Stephens Körper … dann nahm er Heilkräuteraromen wahr, die einem Umschlag auf seiner Wunde entströmten.
„Memsahib“, begrüßte der Fremde Emily und musterte Stephen forschend, als dieser Anstalten machte, sich vorzustellen.
„Es tut gut, Sie zu sehen, Anant.“ Emily nahm die Hand des Mannes in ihre. „Sie sehen gut aus.“
Der Inder erwiderte ihr Lächeln herzlich, bevor er sich vor Stephen verbeugte. „Sahib, wie ich sehe, haben Sie sich von Ihren Verletzungen erholt.“
Also hatten ihn seine Visionen nicht getäuscht. „Sie waren zugegen in der Nacht, als ich angegriffen wurde?“
Der Inder nickte. „Zu meinem großen Bedauern kam ich zu spät, um Lord Hollingford das Leben zu retten. Das Ihre hingegen …“ Mit einem unsicheren Blick in Emilys Richtung unterbrach er sich.
„Was passierte mit mir nach dem Überfall?“
Wieder sah der Inder zu Emily. „Während ich mit den Angreifern kämpfte, flohen Sie, Sahib.“
„Wissen Sie, wohin?“
Nach langem Zögern gestand Anant: „Zu einer Frau.“
„Deiner Geliebten.“ Emily war leichenblass.
Obwohl er es gerne geleugnet hätte, erinnerte Stephen sich plötzlich daran, wie er blutüberströmt durch die Straßen geirrt war und sich in Patricias Haus gerettet hatte.
„Ja“, gab er zu.
Emily wandte den Blick ab, als könne sie es nicht ertragen, ihn weiterhin anzusehen. Glaubte sie immer noch, dass er sie betrogen hatte – schwer verletzt und auf der Flucht? Untreue war das Letzte, was ihm in seinem Zustand in den Sinn gekommen wäre! Es ärgerte ihn, dass das Wort eines Dieners ausreichte, um ihre Zweifel wiederaufleben zu lassen. Er würde mit ihr sprechen, um ein für alle Mal mit dieser Sache aufzuräumen. Doch jetzt brauchte er Antworten von Anant.
„Warum hat man versucht, mich zu töten? Schuldete Daniel diesen Leuten Geld?“
Bedächtig schüttelte Anant den Kopf. „Sie wollten den Frachterlös eines Ihrer Schiffe, der Lady Valiant “, erklärte er. „Ich habe gelauscht, als sie sich deswegen stritten. Sie waren auf der Suche nach dem verschwundenen Geld und dachten, Lord Hollingford wüsste, wo es sich befand.“
Fröstelnd rieb Emily sich die Arme. „Daniel hätte nie etwas gestohlen. Weswegen haben sie ihn verdächtigt?“
Anant neigte den Kopf. „Ich bedaure, Mylady, aber er hatte hohe Schulden.“
„Was geschah letztes Jahr, als er mit Ihnen nach Indien gereist ist?“, wollte Stephen wissen. „Royce hat mir von Daniels Tätowierung erzählt. Handelt es sich bei den Schriftzeichen um Sanskrit?“
„Nein, um Chinesisch, Mylord“, erwiderte Anant unbehaglich. „Bedauerlicherweise ist das alles, was ich darüber weiß.“
Stephen glaubte ihm nicht. Er war davon überzeugt, dass die Tätowierung eine Bedeutung hatte, die der Diener ihnen nicht enthüllen wollte. Allerdings
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