Der Effekt - Roman
Irgendwann beißt es dich.«
Barney rieb sich das Gesicht, beugte sich vor, stemmte die Ellbogen auf den Tisch und blickte unglücklich drein.
»Ich hab es getan, weil es richtig war, Kip. Selbst wenn es nutzlos war und für mich alles nur noch schlimmer gemacht hat. Auch für meine Familie. Sie haben Lorraine und den Kindern die Nahrungsmittelhilfen verwehrt. Wusstest du das? Nachdem ich meine Dienststelle verlassen hatte, bekamen sie keine Gutscheine mehr. Sie mussten Spenden von den Nachbarn und Verwandten annehmen. Auch die Kirche hat sie eine Weile unterstützt. Und dann war es auch damit vorbei.«
»Verdammt, Barney, das wusste ich nicht.«
»Woher auch? Du hast ja jede Menge zu tun, um die Stadt am Laufen zu halten. Ich wollte dich nicht in diesen ganzen Sumpf reinziehen. Sie haben mich überwacht. Weil sie sich genau gemerkt haben, was ich gesagt habe, als ich ging. Dass ich es abgelehnt habe, mit einer Diktatur zusammenzuarbeiten. Aber ich wollte dir trotzdem sagen, dass es großartig ist, was du für diese Stadt getan hast.«
»Ach komm schon, Barney. Was soll das? Es war mein Job. Es war auch mal deiner. Ich akzeptiere deine Gründe, warum du gegangen bist. Aber ich war anderer Meinung, das weißt du ja.«
»Ich weiß. Ich … hör mal, ich möchte nicht paranoid klingen, aber können wir vielleicht irgendwo hingehen, wo wir nicht von draußen zu sehen sind?«
Kipper war verblüfft, aber Barney war so aufgeregt und sein Anliegen klang so plausibel, dass er nach der Kerze griff und ihn ins Wohnzimmer führte. Er hörte Barbara und Suzie, die im oberen Stockwerk Party spielten, und hätte beinahe gerufen, dass es Zeit sei, schlafen zu gehen. Aber er hielt lieber den Mund. Barbara würde sie bestimmt in spätestens einer halben Stunde ins Bett bringen und sich zu ihr legen. Seit dem Großen Verschwinden tat sie das jeden Abend.
Im Wohnzimmer war es dunkel, die Vorhänge waren zugezogen. Im Kamin flackerte ein kleines Feuer. Kipper blies die Kerze aus und stellte sie auf eine alte Untertasse, die sich sofort mit geschmolzenem Wachs füllte.
»Willkommen an der Front«, sagte er trocken.
Sie setzten sich einander gegenüber. Auf dem Glastisch zwischen ihnen lagen Barbaras Zeitschriften, vor allem The New Yorker und Vanity Fair , aber auch ein par Ausgaben der Vogue . Keines dieser Blätter würde jemals wieder publiziert werden.
»Okay«, sagte Kipper. »In was für Schwierigkeiten hast du dich also reingeritten, Barney?«
Sein Gegenüber rieb sich mit den Händen über die Knie. Seine Jeans sahen aus, als wären sie schon länger nicht mehr gewaschen worden.
»Es ist so, wie der Haftbefehl sagt, ich bin bei der Résistance. So nennen sie sich selbst. Ehrlich gesagt halte ich das für einen dämlichen Namen. Es klingt ein bisschen zu aufgesetzt, finde ich. Aber es ist eine ziemlich große Gruppe.
Gewöhnliche Leute, wie du und ich. Einige arbeiteten für die Stadt, so wie ich, andere für den Staat. Auch viele Geschäftsleute sind darunter. Alles ganz normale Menschen, die nicht damit einverstanden sind, wie es hier läuft. Sie sind der Meinung, dass die Katastrophe manchen nur als Vorwand dient, um die Freiheit der Bürger einzuschränken.«
»Aber Barney, wir können nicht mehr so frei leben wie vorher. Das muss dir doch klar sein.«
Barney beugte sich vor. »Wir können keine Plasma-Bildschirme mehr benutzen, okay. Wir können uns nicht mehr mit Junk-Food totfressen oder mit Cola ersäufen, auch okay. Wir können nicht mehr dahin reisen, wo wir wollen. Wir können nicht einfach den Wagen volltanken und nach Disneyland fahren. Wir leben in ständiger Angst, dass diese gottverdammte Energiewelle uns vielleicht auch bald aufsaugen wird. Das ist alles richtig. Viele Freiheiten sind verschwunden. Aber es gibt auch noch eine grundlegende Freiheit, Kip, die Freiheit, sagen zu dürfen, was man denkt. Die Freiheit, zu handeln, wie man es für richtig hält. Die Freiheit, das eigene Leben selbst zu bestimmen. Und diese Freiheit wurde uns genommen.«
Kipper wollte schon protestieren, erinnerte sich aber an die Forderung des Bürgermeisters auf dem Kongress, der dreißig Prozent der Parlamentssitze für das Militär reservieren wollte. Um das Staatswesen zu stabilisieren. Er hatte gelacht, als er das gehört hatte, wurde aber unruhig, als immer mehr Redner aufstanden und den Antrag unterstützten. Tatsächlich befand sich die Stadt immer noch im Belagerungszustand. Die Leute lebten von verteilten
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