Der Effekt - Roman
dieser Gruppe gesellten sich noch durchgedrehte Überlebenskämpfer, Postenjäger, Aktionisten und schamlose Wichtigtuer, die sich alle hinter dem Banner der sogenannten »Reform-Bewegung« versammelt hatten. Das waren seine Feinde. So dachte er von ihnen. Seine Feinde und die Feinde der alten Republik.
Und nun standen sie als Sieger da, zumindest hier im Rahmen des Kongresses.
Ihre verrückten, angstgeleiteten Vorstellungen einer neuen Verfassung, in der die Militärs eine wesentliche Rolle innerhalb der zivilen Verwaltung spielen sollten, schien immer mehr Anhänger zu finden. Wenn er nicht ohnehin schon eine niedrige Meinung von der menschlichen Natur gehabt hätte, hätte er das alles nicht glauben können. War diesen Dummköpfen denn nicht klar, dass die Überreste des US-Militärs genug mit sich selbst zu tun hatten und kaum in der Lage waren, einen ganzen Staat zu lenken?
Die bittere Wahrheit schien diesen Leuten nicht ins Konzept zu passen. Als hätten sie sich alle an den Händen gefasst, um gemeinsam durch den Spiegel ins Wunderland der Träume zu springen.
Auf dem Podium hielt Guertson den Leuten im Publikum, die ihn niederbrüllen wollten, eine Moralpredigt. Er verspritzte eine Menge Speichel, und jedes Mal, wenn er mit der Faust auf das Rednerpult schlug, gab es ein grässliches verzerrtes Geräusch im Lautsprecher. Die Störer wiederum versuchten so laut wie möglich, ihn am Sprechen zu hindern. Sie schrien unentwegt, manche warfen sogar Gegenstände in seine Richtung.
»Genau dagegen kämpfen wir!«, ereiferte er sich. »Gegen diese Art von Anarchie und Subversion, denn das ist es, was uns zerstören wird. Damit muss endlich Schluss sein.«
»Sieg Heil, Sieg Heil«, riefen seine Widersacher.
»Das läuft ja großartig.«
Culver wunderte sich nicht sehr über das Auftauchen von James Kipper an seiner Seite. Er hatte ihn sogar erwartet. Er wusste ja, dass Kipper gelegentlich um die Buffet-Tische herumschlich, um nach Süßigkeiten zu suchen, die er seiner Tochter mitbringen konnte. Was der Ingenieur jetzt auch offen zugab, ohne dass Culver ihn darauf ansprechen musste.
»Ich wollte eigentlich bloß ein bisschen Schokolade mitnehmen«, bekannte er.
»Hier, für Ihre Tochter«, sagte Culver und hielt ihm eine Tafel Milchschokolade hin. »Hab ich gegen meine Ration Zigaretten eingetauscht.«
Kipper wurde rot und schüttelte den Kopf, aber Culver bestand darauf, dass er nahm.
»Ich rauche nicht, Kipper. Außerdem bin ich Diabetiker. Ich dachte nur, dass sich Ihre Tochter vielleicht darüber freuen würde.«
»Das wird sie bestimmt«, gab Kipper zu. »Aber es ist nicht richtig. Es ist doch alles so knapp geworden.«
»Was ist denn mit Ihnen los? Warum fühlen Sie sich schuldig? Sind Sie katholisch oder was? Nehmen Sie endlich diese verdammte Schokolade. Es würde mich umbringen, wenn ich sie essen würde. Haben Sie eine Ahnung, wie schwer man zurzeit an Insulin rankommt?«
Kipper bedankte sich und steckte die Tafel ein.
»Suzie wird sich sehr freuen.«
Er musste laut sprechen, um überhaupt gehört zu werden.
»Das ist ein erstklassiges Durcheinander«, kommentierte Culver.
Kipper nickte. Er schaute sich die Szenerie an mit dem Gesichtsausdruck von jemandem, der ein unaufgeräumtes Kinderzimmer inspiziert. Der Vorsitzende des Kongresses deutete mit seinem Holzhammer auf Guertson und verlangte von ihm, das Podium freizugeben. Die »Sieg Heil«-Rufer wurden von einer Gruppe Männer herumgestoßen, die aussahen, als wären sie direkt vom Holzfällen aus dem Wald gekommen. Mindestens zwei Faustkämpfe waren schon im Gang. Kipper murmelte etwas, entschuldigte sich und rannte davon. Eine Minute später war die Stromversorgung unterbrochen, und der Saal versank in Dunkelheit.
Sofort änderte sich die Tonlage. Das wütende Geschrei wurde von verwirrten und überraschten Ausrufen abgelöst. Nach einer kurzen Pause gingen die Lichter wieder an, und nun stand Kipper auf dem Podium, lächelte Bürgermeister Guertson entschuldigend an und bat um das Mikrofon. Er bekam es und sprach mit fester Stimme.
»Tut mir leid, Leute, das war mein Fehler. Ich bin James Kipper, Leiter der Stadtwerke. Es gab ein paar Probleme mit den Relais im Kraftwerk, und dieses Gebäude hier zieht ziemlich viel Energie von dort ab. So kann es schnell
passieren, dass die Lichter ausgehen. Vielleicht sollten wir ein paar Minuten Pause einlegen, bis meine Leute das Problem in den Griff bekommen haben. Es dauert nicht lange, das
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