Der Effekt - Roman
nicht ›Ferkels großes Abenteuer‹ besorgen?«, fragte Suzie schon wieder fröhlicher.
»Bestimmt«, sagte er ohne nachzudenken. »›Ferkels großes Abenteuer‹, kein Problem.«
Er spürte mehr, als er es sah, dass Barbara neben ihm sich anspannte.
»Lauf jetzt los und zieh dich an. Und heute bitte nicht draußen spielen, ja? Vielleicht geht das ja morgen wieder.«
»Aber Daddy …«
»Vielleicht morgen, aber das kann ich nicht versprechen.«
Sie huschte davon. Er stand auf und spürte einen leichten Schwindel.
»Du hast ein Versprechen gegeben, das du nicht halten kannst.«
»Wie bitte?«
»Dieser Film, ›Ferkels große Abenteuer‹. Den gibt’s noch nicht auf DVD. Er sollte in dieser Woche im Kino starten. Sie hat sich schon das ganze Jahr darauf gefreut. Aber davon weißt du ja nichts, stimmt’s?«
Barbara drehte sich um und verschwand im Flur.
Herrgott nochmal!
Kipper stand in der Küche, ballte die Fäuste und versuchte ruhig zu atmen. In seinem Kopf pochte es. Am liebsten hätte er ihr etwas Dummes hinterhergerufen, aber er kannte solche Situationen zur Genüge und hielt lieber den Mund. Es wäre natürlich besser gewesen, zu ihr zu gehen und über die Probleme zu sprechen. Aber er wusste, dass er dann mindestens eine Stunde mit Entschuldigungen beschäftigt wäre, und er hatte einfach keine Kraft, jetzt seine ganzen Fehler an der Familienfront einzugestehen. Er war ohnehin schon spät dran und konnte sich nicht leisten, den Konvoi zum Damm am Chester Morse Lake zu verpassen. Außerdem musste er die Verteilungszentren für Nahrungsmittel kontrollieren, die heute Morgen mit ihrer Arbeit beginnen sollten. Eins davon war letzte Nacht von ein paar Hooligans überfallen worden. Die Polizei hatte ihn mitten in der Nacht darüber informiert, und er hatte danach nicht mehr schlafen können. Zweifellos würde es heute einige Beratungen zu diesem Thema geben.
Er hatte also wirklich keine Zeit für häusliche Scharmützel. Die Zeiten, wo er einfach nur seinen Job machte, waren vorbei. Jetzt hing das Leben der Bürger von seiner Arbeit ab.
Natürlich war ihm klar, dass er diese Entscheidung bereuen würde, bevor der Tag zu Ende ging, aber er nahm seine Autoschlüssel und verließ die Küche. Die Kopfschmerzen, die er gespürt hatte, wurden schwächer, als er nach draußen trat und die frische Luft einatmete. Na ja, wirklich frisch war sie nicht, er spürte diesen bekannten chemischen Geschmack im Mund, obwohl der Wind den größten Teil der verunreinigten Luft aus dem Süden in den letzten vierundzwanzig Stunden verweht hatte. Ein gigantisches Tief über der Beringstraße hatte riesige Mengen Asche und Rauch von dem Flächenbrand in Los Angeles hertransportiert, während gleichzeitig ein Hochdruckgebiet
im Osten die Giftwolken über dem Nordwest-Pazifik zwei Tage lang festgehalten hatte.
Kipper blinzelte in die Morgensonne, die zum ersten Mal seit Tagen wieder hervorgekommen war, und versuchte nicht daran zu denken, was es wohl gewesen war, das seine Familie in den letzten Tagen eingeatmet hatte. Er hatte das Haus so gut es ging abgedichtet - sicherlich besser als die meisten anderen -, indem er eine Luftschleuse mit Filter im hinteren Zimmer installiert hatte. Barbara war zunächst nicht besonders beeindruckt gewesen von der neuen Klimaanlage und fand es gar nicht gut, dass sie einige ihrer schönsten Betttücher für die Abdichtungsaktion opfern musste. Als dann aber die Smogschwaden aus dem Süden sich heranwälzten, hatte sie ihre Meinung geändert. Wenn die Stromversorgung es zuließ, erzeugte die Anlage einen leichten Überdruck im Haus, und er hoffte, dass das ein bisschen helfen würde.
Er stieg von der Veranda und ging über den nassen Betonweg zu seinem Wagen. Es war der gleiche Pick-up, mit dem er am ersten Tag der Katastrophe vom Flughafen losgefahren war. Er fühlte sich gleichzeitig erleichtert und schuldig, dass er Barbara und Suzie verließ. Das Haus war großzügig und gemütlich, wie alle hier auf Mercer Island, aber früher hatte es sich auch nicht wie ein Gefängnis angefühlt wie jetzt, nachdem die giftigen Niederschläge eingesetzt hatten und Tausende Tonnen hochgiftiger Luftmassen von den Bränden in Los Angeles über der Stadt und ihrer Umgebung hingen. Barbaras hingebungsvoll gepflegter Garten war jetzt braun und kahl, als hätte man ein Entlaubungsmittel darüber versprüht. Kipper blieb am Gartentor stehen und schaute die Straße entlang. Sie waren nicht allein. Mercer
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