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Der Effekt - Roman

Der Effekt - Roman

Titel: Der Effekt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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zu erhalten, wenn die Lieferungen weitergingen und wenn die Leute nicht in Panik gerieten. Das waren zwei »Wenns«, die ihm gar nicht gefielen.
    Auf Mercer Island war es ruhig geblieben, die Menschen hielten sich an die Ausgangssperre. Meistens. Kipper schaltete das Radio ein und versuchte, einen Sender zu finden, der etwas anderes brachte als die üblichen Katastrophenschutzansagen. Er bekam undeutlich einen Sender von irgendwo in Kanada herein, aber es war nur
elektronische Tanzmusik, womit er gar nichts anfangen konnte. Seufzend schaltete er das Radio ab und parkte aus. Während der Fahrt dachte er darüber nach, wie, zum Teufel, er an eine Kopie von »Ferkels großes Abenteuer« kommen könnte.
     
    Er fuhr über den West Mercer Way, eine normalerweise ruhige, von Bäumen gesäumte Straße, die durch die exklusive Wohngegend führte. Heute sah sie beängstigend leer aus, an manchen Stellen lag Abfall herum, was es früher nicht gegeben hatte. Er bog auf die Homer-Hadley-Brücke, die ihn über den Lake Washington in die Stadt führte. Auch hier waren die Straßen verlassen und leer. Noch vor einem Monat wären an dieser Stelle und um diese Zeit die Autos dicht hintereinander nur im Schritttempo vorangekommen. Einige Wagen waren allerdings zu sehen, Armeefahrzeuge, die ihn dreimal anhielten. Außerdem musste er seinen Ausweis noch an vier Straßensperren beziehungsweise Kontrollstellen vorzeigen. Sein Ausweis war von General Blackstone und den drei Vorsitzenden des Stadtrats unterschrieben worden. Damit kam er überall durch, aber für Menschen ohne einen solchen Schein war der Aufenthalt auf der Straße ein Problem. Nach den Unruhen in Ivar’s Salmon House am dritten Tag der Ausgangssperre und der Schießerei in einem Supermarkt am Denny Way, bei dem es wegen des Streits um die letzten Reste Tiefkühlpizza vier Tote gegeben hatte, war die Army zu strengeren Kontrollen übergegangen. In der Folge waren drei junge Männer erschossen worden, die man eine Woche zuvor einfach als Diebe bezeichnet hätte, die jetzt aber als Plünderer keine Nachsicht erwarten konnten, auch wenn sie nur einen Karton mit gefrorenen Hamburgern aus einem Fastfood-Restaurant gestohlen hatten. Ein Landstreicher, der es sich in einem Müllhaufen hinter einem Lokal gemütlich gemacht hatte, war von einem Panzerwagen
unter Feuer genommen und getötet worden. Anstatt diese Vorfälle zu verschweigen oder kleinzureden, nahm General Blackstone sich die Zeit, um bei einem Auftritt im Fernsehen die Bevölkerung darauf hinzuweisen, dass Ähnliches wieder passieren könnte, wenn jemand die Ausgangssperre verletzte oder seinen Mitbürgern die »lebensnotwendigen Rationen« stahl.
    Danach wurde es in der Stadt wesentlich ruhiger.
    In einigen Talkshows und Nachrichtensendungen ereiferten sich manche über diese neue »Ungerechtigkeit«, aber ihr Widerstand nützte nichts und dauerte auch nur so lange, bis vier Geländefahrzeuge des Militärs vor dem Sender Posten bezogen. Einige Anwälte, die daraufhin im Rathaus auftauchten, um sich bei der Stadtregierung wegen der Verletzung der Redefreiheit zu beklagen, wurden verhaftet und an einen unbekannten Ort verbracht. Danach äußerte niemand mehr offen Kritik, und es gab auch keine Unruhen oder Plünderungen mehr. Kurz danach jedoch war die selbst ernannte Widerstandsgruppe auf den Plan getreten und hatte alle Bürger der Stadt mit E-Mails aufgeschreckt, in denen vor einer faschistischen Machtübernahme gewarnt wurde. Die Menschen, so hieß es weiter in dem Aufruf, sollten sich »die Straßen zurückerobern«.
    Kipper fand die ganze Entwicklung ziemlich grauenhaft - was auch sonst? -, aber er wusste ja, in welcher verzweifelten Lage die Stadt sich befand und wie leicht alles außer Kontrolle geraten konnte. Er hoffte nur, dass Blackstone genug Vernunft und Fingerspitzengefühl besaß, um gelegentlich die Daumenschrauben etwas zu lockern. Die Menschen waren verängstigt und zutiefst getroffen. Man konnte den Bürgern einer Großstadt nicht so einfach Hausarrest verordnen. Und es war nur zu hoffen, dass diese sogenannten Widerstandskämpfer nichts weiter waren als drogenumnebelte Wirrköpfe. Von der Sorte gab es jede
Menge in Seattle. Noch ein paar Zwischenfälle wie die in der letzten Nacht vor dem Lebensmittellager, und alles würde außer Kontrolle geraten.
    Apropos …
    Er warf das Lenkrad herum, fuhr über den Mittelstreifen und steuerte den Wagen zum Costco-Warenhaus, in dem das Zentrum für die

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