Der Effekt - Roman
viel zu chaotisch und ungeordnet, um sich auf jemand anderen als sich selbst verlassen zu können. In dem engen labyrinthischen Durcheinander von Marktplätzen, Gassen, Durchgängen und zerstörten Straßenzügen der Städte und Dörfer, in denen sie gekämpft hatten, konnte jeden Augenblick ein Wahnsinniger vor einem auftauchen, der nichts weiter wollte als töten. Trotzdem hatte Melton seinen Karabiner noch nicht benutzen müssen, wofür er dankbar war. In Situationen wie dieser entsicherte er die Waffe und wartete ab. Alcibiades hob sein Sturmgewehr über den Kopf und feuerte blind zwei Salven ab. Die Schüsse verloren sich im allgemeinen Kampflärm, der vom Geräusch der Panzermotoren und dem steten Hämmern der Kanonen bestimmt wurde, deren 25-mm-Geschosse sich laut krachend in die Häuser bohrten, ohne dass jemand sich vorher Gedanken darüber gemacht hätte, ob da vielleicht noch irgendwelche Zivilisten drin waren.
Alcibiades ging wieder in Deckung und spuckte eine Fontäne grünen Speichel in den Sand. Er kaute auf einem großen Stück Tabak. »Verdammte Kapuzenbande«, fluchte er.
Der Kampflärm war ohrenbetäubend und erstickte beinahe die gebrüllten Befehle von Leutnant Euler und seinen Unteroffizieren, die sich ihnen angeschlossen hatten und nun den Gegenangriff der Infanterietruppen organisierten.
Melton versuchte konzentriert zu bleiben und so viele Details wie möglich aufzunehmen. Später würde er sich Notizen machen, wenn die unmittelbare Gefahr vorbei war und seine Hände hoffentlich nicht mehr so sehr zitterten.
Die unmittelbare Gefechtssituation war immer wieder eine grauenhafte Angelegenheit, die ihn zutiefst erschütterte. Es war wie in einem Alptraum, als würde er in eine Art Trichter aus Lichtern und Farben fallen, während ihm gleichzeitig erschreckend bewusst wurde, dass da irgendwo jemand war, der ihn auslöschen wollte. Seit er Reporter war, kam er mit dieser Situation weniger gut klar als in seiner Zeit als Soldat. Vielleicht weil er älter geworden war, vielleicht aber auch weil es nichts mehr gab, mit dem er sich ablenken konnte. Tatsächlich war dies ja der Grund für seine Anwesenheit an diesem Ort: Er wollte alle Eindrücke aufnehmen, um sie für andere festzuhalten. Er konnte sich nicht auf eine bestimmte Aufgabe konzentrieren, die ein Vorgesetzter ihm übertragen hatte, und sich abschotten. Für ihn ging es genau darum, den ganzen Wahnsinn dieses Krieges zu registrieren und den Schrecken in sein Gehirn einzubrennen.
Er spürte den Staub in seinem Mund, schmeckte dieses eklige, erstickende metallische Aroma nach Dieselöl und Hundescheiße und musste würgen. Er bemerkte einen kleinen bunten Käfer, der sich neben einem Klumpen ausgespucktem Kautabak auf den Stiefel des Specialist zu bewegte. Er versuchte den Geruch des Mannes neben sich zu speichern, der eine ganz eigene Mischung aus Körperdunst und Kautabak verströmte. Er bemühte sich, die Konturen der Straße, die Farbe der Gebäude, die kurvigen Gassen, die den Berg hinaufführten, wie ein Foto in seinem Kopf zu fixieren, den grüngelben, faulig riechenden Abwasserkanal, der den Hügel hinunterfloss, und den Müll, der in den Ecken herumlag. Auch das Erscheinungsbild der Soldaten war wichtig, manche waren eiskalt und berechnend, andere schwitzten und waren weniger gut organisiert, andere befanden sich in heller Panik.
Lieutenant Euler suchte Deckung hinter einem pockennarbigen Steinpfeiler, der hier womöglich schon seit Mohammeds
Zeiten herumstand. Er machte sich am Funkgerät zu schaffen und hielt eine Karte in der Hand, auf der er etwas in Augenschein nahm, das Melton nicht sehen konnte. Der Funker hielt sich in Deckung und suchte mit dem Lauf seines Karabiners die Dächer ab, um mögliche feindliche Schützen oder heranfliegende Granaten abwehren zu können oder sonstige irakische Arschlöcher, die scharf darauf waren, ein Loch in die Stirn zu bekommen.
Sergeant Major Jaanson ging nach dem üblichen Schema vor: Schießen, Laufen, Kommandieren, und bewegte seine Soldaten von der Infanterie und der Kavallerie auf dem eng gefassten Gefechtsfeld der engen Straßen und Gassen mit der brutalen Präzision eines Schachmeisters. Manche Soldaten gingen zögerlich vor, während andere sofort auf die Befehle reagierten. Einigen musste Jaanson beruhigend auf die Schulter klopfen und ihnen gut zureden wie einem aufgescheuchten Pferd. Wieder andere brauchten einfach nur einen Tritt in den Hintern.
Melton musste lächeln, als
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