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Der Effekt - Roman

Der Effekt - Roman

Titel: Der Effekt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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er sich vorstellte, wie es ihm früher ergangen war.
    Er bemerkte einen Vogel, der sich aufschwang, um dem plötzlichen Schlachtenlärm zu entkommen, und, kaum dass er die Flügel ausgebreitet hatte, zerfetzt wurde und in einem Regen aus Blut und Federn in den Staub fiel. Sein Körper zuckte noch kurz, als die letzten elektrischen Ströme durch sein Nervensystem rasten.
    Alcibiades hatte den Vogel ebenfalls bemerkt. »Scheiße, Mann, hier geht’s allen an den Kragen, egal ob Tier oder Mensch. Am liebsten wäre mir, wir könnten die Air Force holen und diese ganze Scheißstadt zurück in die Steinzeit bomben.«
    »Genau«, sagte Melton, ohne weiter nachzudenken. Er tippte Al auf die Schulter und fragte: »Hast du mal was zu kauen für mich, Specialist?«

    Alcibiades holte eine Dose aus der Tasche. »Hab mich gut eingedeckt, bevor wir losgezogen sind. Die Hälfte ist schon aufgebraucht. Du kannst dich ja irgendwann revanchieren.«
    Melton nahm die Dose und nickte. »Geht klar.«
    Er nahm ein Stück von dem Tabak in den Mund und gab Alcibiades die Dose zurück. Dann versuchte er sich wieder mit der Wirklichkeit um sich herum zu befassen. Aber wie sehr er es auch versuchte, kam es ihm doch immer wieder so vor, als würde die Zeit sich dehnen und dann schlagartig in einzelne kurze Momente zerfallen, ganz so, als wäre sie selbst ein Handelnder in diesem Konflikt, der sich beständig ausdehnte und zusammenzog, drehte und wendete, um die Umgebung und die lächerlichen kleinen Figuren in Augenschein zu nehmen, die hier so sinnlos herumhasteten. Schwer zu sagen, ob vier Minuten oder vier Stunden vergangen waren, als die Apache-Hubschrauber über ihnen mit dem typisch zischenden Geräusch der abgefeuerten Raketen und dem industriellen Hämmern ihrer 30-Millimeter-Kanonen auftauchten. Die halbe Straße vor ihnen wurde von den Hochgeschwindigkeitsgeschossen zertrümmert. Ganze Blöcke von Sandsteinmauern wurden zerschmettert, brachen zusammen und hinterließen dichte Staubschwaden, die nach oben stiegen und von dem heißen Schirokkowind über das Dorf geblasen wurden.
    »Weiter so, Apache!«, krächzte Alcibiades. »Immer wenn sie kommen, würde ich am liebsten einen Freudentanz aufführen. Los, macht weiter, ihr Mistkerle!«
    Melton blieb am Boden liegen, während der Beschuss durch die Dritte Infanteriedivision weiterging. Einen kurzen Augenblick brach Schweigen aus und legte sich wie eine Decke über die Szenerie. Er hörte das Knirschen von Stiefeln, die über den Schutt stiegen, es übertönte das Klingeln in seinen Ohren ebenso wie das Rasseln der Ausrüstung,
als die Männer sich vorwärtsbewegten. Das metallische Schaben von Magazinen, die ausgetauscht wurden. Ganz vorsichtig hob er den Kopf. Die Betonplatte war von dem kontinuierlichen Beschuss arg zerfetzt worden, ihre Oberfläche war übersät von Einschusslöchern und dunklen Einkerbungen. Ein rostiges Stück der Eisenverstrebung glitzerte in der Sonne, die scharfe silbrige Spitze glänzte hell, nachdem sie von einem Querschläger blankpoliert worden war. Melton schaute sich kurz um, suchte nach irgendeiner Bewegung, die ihn auf eine versteckt lauernde Gefahr hinwies. Ein Fenster konnte aufgestoßen werden, ein Gewehrlauf sich ins Freie schieben. Eine Tür konnte umkippen und aus einer halbverfallenen Hütte ein Kämpfer mit Dynamitgürtel springen und »Es lebe Saddam!« schreien, bevor er sich selbst in die Luft jagte. Aber es geschah nichts. Die Apache-Hubschrauber hatten die Angreifer ausgemerzt und wahrscheinlich auch eine ganze Reihe von Unschuldigen.
    Alcibiades neben ihm setzte sich ebenfalls auf und suchte mit dem Lauf seines Gewehrs die Gegend vor ihnen ab, um den Männern, die sich hinter ihm aufrichteten, Schutz zu bieten. Sie begutachteten den Schutt, in dem ihre Gegner zu Tode gekommen waren. Melton wartete auf den Ruf: »Sanitäter!«
    Aber er kam nicht. Die Verletzungen der Soldaten waren nicht so schlimm, dass sie sofort behandelt werden mussten. Er behielt seine Waffe in der Hand und bemühte sich ganz bewusst, seine Anspannung zu reduzieren, denn er spürte, dass seine Nerven noch immer blanklagen. Sie hatten einen weiteren Angriff überlebt. Die Brigade und der größte Teil der Dritten Infanteriedivision hatten bisher erstaunlich viel Glück gehabt. Weniger als zwanzig gefallene Soldaten bislang, und alle waren in Straßenkämpfen wie diesem hier ums Leben gekommen. Draußen in der Wüste, wo sie zuallererst auf die Iraker getroffen waren,
war

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