Der Ego-Tunnel
aus, wenn die Hauptbeleuchtung aus weißem Sonnenlicht besteht, und auch abends, beim Sonnenuntergang, wenn die Hauptbeleuchtung Rot ist, aber mit einer beträchtlichen Menge von dazugemischtem Gelb. Diese subjektive Farbkonstanz ist eines der faszinierendsten Merkmale der menschlichen Farbwahrnehmung, eine neurokomputationale Leistung ersten Ranges. Auf der anderen Seite ist es so, dass Sie auf der Ebene des Bewusstseins dieselbe physikalische Eigenschaft – sagen wir, die heiße Herdplatte vor Ihnen – durch zwei grundverschiedene phänomenale Qualitäten erleben können. Sie können sie als eine Empfindung der Wärme erleben und als eine Empfindung von glühendem Rot, als etwas, das Sie auf Ihrer Haut spüren, und als etwas, das Sie in den Raum vor Ihren Augen hineinprojizieren. Phänomenaler Raum. Erscheinung .
Um sich eines bewussten Farberlebnisses zu erfreuen, ist es nicht einmal notwendig, dass Ihre Augen geöffnet sind. Natürlich kann man von einem rosa-aprikosenfarbenen Abendhimmel auch träumen, oder man kann ihn halluzinieren. Es ist sogar möglich, eine noch dramatischere (sozusagen »überwirkliche«) Farberfahrung unter dem Einfluss einer halluzinogenen Droge zu machen, während Sie in die Leere hinter Ihren geschlossenen Augenlidernstarren. Viele experimentelle Daten aus der modernen Bewusstseinsforschung zeigen übereinstimmend, dass das, was alle möglichen bewussten Empfindungen von Rosa-Aprikosenfarben miteinander gemein haben, nicht so sehr die Existenz eines Gegenstands »da draußen« ist, sondern vielmehr ein hochgradig spezifisches Aktivierungsmuster in unserem Gehirn. Im Prinzip könnten wir dieses Erlebnis also auch ohne Augen haben, und wir könnten es sogar als entkörpertes Gehirn in einer Nährlösung haben. Woher nehmen Sie eigentlich die Gewissheit, dass Sie sich nicht jetzt gerade, während Sie dieses Buch lesen, in einem Gefäß mit einer Nährlösung befinden? Wie können Sie beweisen, dass das Buch in Ihrer Hand – oder auch die Hand selbst – in Wirklichkeit existiert? In der Philosophie nennen wir dieses Spiel »Erkenntnistheorie«, die Suche nach einer Theorie darüber, wie sicheres und verlässliches Wissen möglich ist. Wir spielen es schon seit Jahrhunderten.
Das bewusste Erleben als solches ist dagegen eine ausschließlich innere Angelegenheit. Was immer sonst noch vom Bewusstsein gelten mag, eines scheint sicher: Wenn alle internen Eigenschaften unseres Nervensystems festgelegt sind, dann sind auch alle Eigenschaften unseres bewussten Erlebens – sein subjektiv erlebter Inhalt und die Art und Weise, wie es sich von innen für uns anfühlt – vollständig determiniert. Mit dieser »Internalität« meine ich nicht nur räumliche, sondern auch zeitliche Innerlichkeit – also das, was immer gerade jetzt stattfindet, in genau diesem Moment. Sobald gewisse Eigenschaften unseres Gehirns festgelegt sind, ist alles, was wir genau in diesem Moment erleben, ebenfalls festgelegt.
Philosophisch gesehen bedeutet all das aber noch lange nicht, dass eine reduktive Erklärung von Bewusstsein wirklich möglich ist. Zum Beispiel ist nicht klar, was überhaupt als eine einzige Erfahrung, als ein ganzes Erlebnis zählt: Sind Erlebnisse diskrete, zählbare Dinge? Haben Sie einen Anfang und ein Ende? Eines ist klar: Der Fluss des Erlebens existiert auf jeden Fall, und die kognitive Neurowissenschaft hat gezeigt, dass der Vorgang des bewussten Erlebens lediglich ein sehr idiosynkratischer, ein besonderer und ganz eigener Pfad durch eine physikalische Wirklichkeit ist, die so unvorstellbar komplex undreich an Informationen ist, dass es immer sehr schwierig für uns sein wird, wirklich zu verstehen, wie stark reduziert unser subjektives Erleben tatsächlich ist. Wenn wir uns tiefer auf das intensive Empfinden all der Farben, Klänge und Gerüche einlassen, auf das weite Spektrum unserer Emotionen und unserer Sinneswahrnehmungen, dann ist es schwer, zu glauben, dass all dies nur der innere Schatten von etwas unfassbar Reicherem und Größerem sein soll. Aber genau so ist es.
Schatten besitzen keine unabhängige Existenz. Und das Buch, das Sie jetzt gerade in der Hand halten – das heißt die zu einer Ganzheit vereinigten Empfindungen seiner Farbe, seines Gewichts und seiner Oberflächentextur –, ist ebenfalls nur ein Schatten, die niedrigdimensionale Projektion eines höherdimensionalen Gegenstands »da draußen«. Es ist ein Bild, eine Repräsentation, die wissenschaftlich als eine
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