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Der Ego-Tunnel

Der Ego-Tunnel

Titel: Der Ego-Tunnel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Metzinger
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des eigenen Gehirns zu befinden und nicht in einem Tunnel, durch neuronale Systeme tief im Inneren des Gehirns hervorgebracht wird. Natürlich existiert eine Außenwelt, und Wissen und Handeln verbinden uns auf kausale Weise mit dieser Außenwelt – aber das bewusste Erleben des Wissens, des Handelns und des Verbundenseins selbst ist eine ausschließlich innere Angelegenheit.
    Jede überzeugende Theorie des Bewusstseins wird erklären müssen, warum uns dies nicht so erscheint. Lassen Sie uns daher zu einem kurzen Ausflug in den Ego-Tunnel aufbrechen und einen Blick auf eine Reihe der wichtigsten Probleme für eine Theorie des Bewusstseins werfen, die sowohl philosophisch als auch neurowissenschaftlich überzeugend sein will. Wir werden uns sechs dieser Probleme im Einzelnen anschauen: das Eine-Welt-Problem oder die Frage nach der Einheit des Bewusstseins; das Jetzt-Problem oder das Rätsel, wie das Erscheinen eines gelebten Moments möglich sein kann; das Wirklichkeits-Problem oder die Frage, warum wir als naive Realisten geboren wurden; das Problem der Unaussprechlichkeit oder die Frage nach dem, worüber wir niemals werden sprechen können; das Evolutions-Problem oder die Frage, wozu Bewusstsein eigentlich gut war, und schließlich das Wer-Problem oder die Frage nach der Entität, die alldie bewussten Erlebnisse in Wirklichkeit hat. Wir beginnen mit dem einfachsten Problem und enden mit dem schwierigsten. Danach besitzen wir die Grundlagen, um endlich tiefer in das eigentliche Wesen des Bewusstseins eindringen zu können.

Kapitel 2
EINE TOUR DURCH DEN TUNNEL
Das Eine-Welt-Problem: Die Einheit des Bewusstseins
    Vor einiger Zeit musste ich einen Lexikonartikel zu dem Stichwort »Bewusststein« verfassen. Ich begann damit, zunächst alle existierenden Lexikonartikel zum Thema zu kopieren und die historischen Literaturverweise einen nach dem anderen zu den Originalquellen zurückzuverfolgen. Ich wollte wissen, ob es in der langen Geschichte der westlichen Philosophie so etwas wie eine gemeinsame philosophische Einsicht gegeben hatte – einen Grundgedanken, der sich wie ein roter Faden durch die jahrtausendelangen Bemühungen der Menschheit zog, den bewussten Geist zu verstehen. Zu meiner Überraschung fand ich zwei solcher wesentlichen Einsichten.
    Die erste ist, dass Bewusstsein eine höherstufige Form des Wissens zu sein scheint, die Gedanken und andere geistige Zustände begleitet. Der lateinische Begriff der conscientia ist die ursprüngliche Wurzel, aus der sich alle späteren Terminologien in den englischen und romanischen Sprachen entwickelt haben. Er leitet sich seinerseits von cum (»mit«, »zusammen«) und scire (»wissen«) ab. In der Antike, genau wie in der scholastischen Philosophie des Mittelalters, bezog sich conscientia üblicherweise auf das moralische Gewissen oder auf Wissen, das von bestimmten Gruppen von Menschen geteilt wurde – wiederum überwiegend moralisches Wissen, Wissen über Werte. Interessanterweise wurde echtes Bewusstsein also mit moralischer Einsicht verknüpft. Ist es nicht ein Gedanke von großer Schönheit und Tiefe, dass jemand, der im wirklichen Sinne bewusst wird, zugleich ein moralisches Gewissen entwickelt? Vielleicht ist es ja sogar richtig, dass nur wer ein Gewissen hat, Bewusstsein im eigentlich interessanten Sinn besitzt. Wir Philosophen hätten aufeinmal eine neue Definition des Wesens, das als Zombie durch die Gegenwartsdiskussion spukt – nämlich als einer amoralischen Person, die sich ethisch im Tiefschlaf befindet, obwohl ihre Augen weit geöffnet sind. 1
    Auf jeden Fall sagten viele der klassischen Theorien auf die eine oder andere Weise, dass Bewusstwerdung damit zu tun hatte, einen idealen Beobachter im Geist zu installieren, einen inneren Zeugen, der moralische Orientierung und außerdem ein verborgenes, vollständig privates Wissen über den Inhalt der eigenen geistigen Zustände bot. Bewusstsein war etwas, was unsere Gedanken mit unseren Handlungen verband, indem es sie dem moralischen Urteil des idealen Beobachters unterwarf. Was immer wir auch über diese frühen Theorien des Bewusstseins-als-Gewissen heute denken mögen, sie besaßen mit Sicherheit philosophische Tiefe und große Schönheit: Bewusstsein war ein innerer Raum, der einen Berührungspunkt zwischen dem wirklichen Menschen und dem idealen Menschen in seinem Inneren herstellte – und es war der einzige Raum, in dem man bereits vor dem Tod mit Gott zusammen sein konnte. Seit der Zeit von

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