Der Ego-Tunnel

miteinander im Wettstreit stehender Assoziationen würde in Ihre Wirklichkeit eindringen. Sie würden sich selbst vollständig in den unzähligen Mikroereignissen verlieren, die in jeder einzelnen Millisekunde in Ihrem Gehirn stattfinden – Sie würden sich in sich selbst verlieren. Ihr Geist würde in einen Raum unendlicher Schleifen der Selbsterforschung hineinexplodieren. Vielleicht war es das, was Aldous Huxley meinte, als er in Die Pforten der Wahrnehmung , seinem klassischen Werk aus dem Jahre 1954, William Blake zitierte: »Würden die Pforten der Wahrnehmung gereinigt, erschien dem Menschen alles, wie es ist: unendlich. Aber der Mensch hat sich selbst eingeschlossen, bis er alle Dinge nur durch schmale Spalten seiner Höhle sieht.«
    Der dynamische Filter der phänomenalen Transparenz ist eine der faszinierendsten Erfindungen der Natur, und er hat zu weitreichenden Konsequenzen geführt. Die inneren Bilder der Welt um uns herum sind recht zuverlässig. Damit es gute Repräsentationen sind, müssen unsere bewussten Modelle von Bären, von Wölfen, von Büchern in unseren Händen oder vom Lächeln im Gesicht unserer Freunde als Fenster zur Welt dienen. Dieses Fenster muss sauber und kristallklar sein. Und genau das ist phänomenale Transparenz:Sie leistet ihren Beitrag zu der Qualität von Mühelosigkeit und Nahtlosigkeit, die das besondere Kennzeichen zuverlässiger bewusster Wahrnehmungen ist, welche die Welt um uns hinreichend genau porträtieren. Wir müssen uns nicht dafür interessieren und auch nicht wissen, wie sich diese Kette von kleinen Wundern in unseren Gehirnen entfaltet. Wir können das bewusste Erleben einfach als eine unsichtbare Schnittstelle zur Wirklichkeit genießen. Solange nichts schiefgeht, ist der naive Realismus eine sehr entspannte Weise, sein Leben zu leben.
    Und doch ergeben sich Fragen. Gibt es Menschen, die keine naiven Realisten sind, oder besondere Situationen, in denen der naive Realismus verschwindet? Meine Theorie – die Selbstmodell-Theorie der Subjektivität – sagt voraus, dass wir den naiven Realismus genau in dem Moment verlieren, in dem eine bewusste Repräsentation undurchsichtig wird (also sobald wir sie als eine Repräsentation erleben). Bewusstsein ohne naiven Realismus existiert tatsächlich. Es tritt immer dann auf, wenn wir uns mit der Hilfe anderer, höherstufiger Repräsentationen des Konstruktionsvorgangs selbst bewusst werden – also all der Doppeldeutigkeiten und der dynamischen Vorstufen, die dem stabilen Zustand vorangehen, der sich am Ende etabliert. Wenn das Fenster schmutzig ist oder einen Sprung aufweist, dann erkennen wir unmittelbar, dass die bewusste Wahrnehmung nur eine Schnittstelle, ein Interface zur Wirklichkeit ist, und wir werden uns des Mediums selbst bewusst. Wir zweifeln daran, dass unsere Sinnesorgane richtig funktionieren. Wir zweifeln an der Existenz dessen, was immer wir gerade sehen oder fühlen, und wir erkennen, dass das Medium selbst fehlerhaft sein kann. Kurz gesagt: Wenn das Buch in Ihren Händen seine Transparenz verlöre, würden Sie es plötzlich als einen Zustand Ihres eigenen Geistes erleben und nicht mehr als ein Element der Außenwelt. Sie würden sofort an seiner unabhängigen Existenz zweifeln. Es wäre mehr wie ein Buch-Gedanke als eine Buch-Wahrnehmung.
    Und genau das passiert in verschiedenen Situationen – zum Beispiel bei visuellen Halluzinationen, in denen der Patient sich der Tatsache bewusst ist, dass er halluziniert, oder auch bei ganz gewöhnlichenoptischen Täuschungen, bei denen wir uns plötzlich bewusst werden, dass wir nicht in unmittelbarem Kontakt zur Wirklichkeit stehen. Normalerweise ist unser erster Gedanke bei solchen Erlebnissen, dass etwas mit unseren Augen nicht stimmt. Wenn Sie die früheren Verarbeitungsstufen der Repräsentation des Buchs in Ihren Händen bewusst erleben könnten, würde das Bild wahrscheinlich instabil und mehrdeutig werden, es würde beginnen, zu atmen und sich leicht zu bewegen. Seine Oberfläche würde anfangen, zu schillern und in verschiedenen Farben gleichzeitig zu changieren. Sie würden sich sofort fragen, ob das vielleicht ein Traum ist, ob etwas mit Ihren Augen nicht stimmt oder ob Ihnen jemand ein starkes Halluzinogen ins Getränk gemischt hat. Ein bestimmter Teilbereich der Wand des Ego-Tunnels hätte seine Transparenz verloren, und das selbstkonstruierte Wesen des gesamten Flusses bewussten Erlebens würde Ihnen langsam dämmern. Auf nichtbegriffliche und ganz