Der Ego-Tunnel
»Unterschiedsschwelle«, also ein Unterschied, den man gerade noch erkennen kann. Bei der Unterschiedsschwelle handelt es sich um eine statistische Unterscheidung, nicht um eine exakte Größe.) Ich werde die zwei Farbtöne »Grün Nr. 24« und »Grün Nr. 25« nennen. Sie sind die nächstmöglichen Nachbarn im Farbspektrum, es gibt also keinen grünen Farbton zwischen ihnen, den wir noch unterscheiden könnten. Jetzt nehme ich meine Hände hinter den Rücken, mische die Farbmuster und halte Ihnen eines von beiden vors Gesicht. Ist es Grün Nr. 24, oder ist es Grün Nr. 25? Interessanterweise zeigt sich, dass die bewusste Wahrnehmung allein es uns nicht ermöglicht, eine Antwort zu geben. Das bedeutet, dass wir, um Bewusstsein zu verstehen, nicht nur seine Ganzheit verstehen müssen, sondern auch seine subtilen und ultrafeinen Aspekte.
Wir müssen nun den Schritt von den globalen zu den subtileren Aspekten des Bewusstseins machen. Wenn es wirklich zutrifft, dass manche Aspekte unserer Bewusstseinsinhalte unaussprechlich sind – und viele Philosophen, mich eingeschlossen, denken, dass dies derFall ist –, wie sollen wir sie dann zum Gegenstand solider naturwissenschaftlicher Forschung machen? Wie können wir etwas reduktiv erklären, über das wir noch nicht einmal vernünftig sprechen können?
Es gibt viele verschiedene Weisen, in denen der Inhalt des Bewusstseins unaussprechlich sein kann. Man kann einem Blinden nicht die Röte einer Rose erklären. Wenn die Sprachgemeinschaft, in der wir leben, einfach keinen Begriff für ein bestimmtes Gefühl hat, dann mag es unmöglich sein, es in sich selbst zu entdecken oder es zu benennen, um es mit anderen zu teilen. Einen dritten Typ von Unaussprechlichkeit stellen all jene bewussten Zustände dar, auf die man zwar im Prinzip die Aufmerksamkeit lenken könnte, die aber so flüchtig sind, dass wir keine Gedächtnisspur bilden können: ein kurzes Flackern oder Aufleuchten am Rand des subjektiven Erlebens – vielleicht eine kaum merkliche Veränderung in einem Farbton, eine sanfte Schwankung innerhalb eines emotionalen Zustands oder ein zartes, kaum spürbares Flimmern in dem subtilen Gemisch Ihrer Körperempfindungen. Es könnte sogar längere Episoden im Strom des bewussten Erlebens geben – zum Beispiel während des Traumzustands oder in der Aufwachphase nach einer Narkose –, die für die gedächtnisbildenden Systeme im Gehirn systematisch unzugänglich sind und über die deshalb auch noch kein Mensch jemals berichtet hat. Vielleicht gilt dasselbe auch für die allerletzten Momente vor dem Tod. In unserem Kontext möchte ich das Problem der Unaussprechlichkeit jedoch mit einem wesentlich klareren und besser definierten Beispiel von Unaussprechlichkeit illustrieren.
Sie können mir nicht sagen, ob das grüne Farbmuster, das ich gerade in Ihr Gesichtsfeld halte, Grün Nr. 24 oder Grün Nr. 25 ist. Aus wahrnehmungspsychologischen Experimenten wissen wir gut, dass unsere Fähigkeit, sensorische Werte wie etwa bestimmte Farbtöne zu unterscheiden, wesentlich besser ist als unsere Fähigkeit, direkte Begriffe für sie zu bilden. Um aber wirklich über diesen spezifischen grünen Farbton sprechen zu können, braucht man einen Begriff. Es reicht nicht aus, einfach eine vage Kategorie wie »irgendein helles Grün« zu verwenden, weil man dadurch den determinierten Wertim sinnlichen Bewusstsein verliert, das ganz konkrete, qualitative So-Sein des Erlebens.
Im Bereich zwischen 430 und 650 Nanometern können Menschen mehr als 150 verschiedene Wellenlängen unterscheiden und verschiedene subjektive Farbtöne erleben. Wenn man sie aber bittet, einzelne Farben mit einem großen Grad an Genauigkeit und Zuverlässigkeit erneut zu identifizieren, so gelingt ihnen dies für weniger als 15 davon. 14 Dasselbe gilt für andere Arten von Sinneserfahrungen. Normale Versuchspersonen können innerhalb des hörbaren Frequenzbereichs etwa 1400 Stufen verschiedener Tonhöhen unterscheiden, aber sie können diese einzelnen Stufen nur als Beispiele von etwa 80 verschiedenen Tonhöhen wiedererkennen. Die Philosophin Diana Raffman von der Universität in Toronto hat den Punkt klar und deutlich formuliert: »Wir sind viel besser darin, Wahrnehmungswerte zu unterscheiden (das heißt, Urteile über Selbigkeit und Unterschiedlichkeit abzugeben), als sie zu identifizieren oder wiederzuerkennen.« 15 Technisch gesprochen bedeutet dies, dass wir für viele der einfachsten Bewusstseinszustände keine
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