Der Ego-Tunnel
schon Millionen Jahre zuvor bei den Affenmenschen gezeigt haben. Die Wissenschaftler und Astronauten versammeln sich um den Monolithen, um ein Gruppenbild aufzunehmen, aber plötzlich hören sie alle in ihren Kopfhörern einen schmerzhaften, unerträglich hohen Ton – einen Ton, den der Monolith aussendet, während die Sonne auf ihn herabscheint. Wir sind voll und ganz von der Szene gefangen genommen, die sich vor uns entfaltet, so stark, dass wir uns vollkommen mit den verblüfften und zunehmend verstörten Menschen in ihren Raumanzügen identifizieren. Trotzdem können wir uns zu jedem Zeitpunkt von der Handlung des Films distanzieren und uns der Tatsache bewusst werden, dass es ein separates, eigenständiges Selbst ist, das da gerade auf dem Sofa im Wohnzimmer sitzt und all dies anschaut. Wir können auch nah an den Bildschirm herantreten und die kleinen Bildpunkte untersuchen, Tausende von kleinen beleuchteten Vierecken, die in einem schnellen Tempo anund ausgehen und dabei ein kontinuierliches, fließendes Bild erzeugen, sobald man ein paar Meter zurücktritt. Es ist nicht nur so, dass dieses fließende Bild aus vielen einzelnen Bildpunkten besteht, auch die zeitliche Dynamik ist in Wirklichkeit nicht kontinuierlich –die einzelnen Bildpunkte leuchten in einem ganz bestimmte Rhythmus auf und verschwinden wieder, wobei sie ihre Farbe in abrupten Schritten verändern.
Diese Art der Selbstdistanzierung können wir bei unserem eigenen Bewusstsein nicht durchführen. Es ist eine andere Art von Medium. Wenn Sie das Buch in Ihrer Hand betrachten und einzelne Bildpunkte wahrzunehmen versuchen, dann können Sie keine sehen. Die Erscheinung des Buchs ist dicht und undurchdringlich. Die visuelle Aufmerksamkeit kann die Flüssigkeit und die Kontinuierlichkeit Ihres bewussten Bucherlebnisses nicht auf dieselbe Weise auflösen, wie sie die individuellen Bildpunkte auf dem Fernsehbildschirm entdecken kann, wenn Sie ihn aus der Nähe betrachten. Die atemberaubende Geschwindigkeit, mit der Ihr Gehirn das visuelle Modell des Buchs aktiviert und es mit den Tastempfindungen in Ihren Fingern verschmilzt, ist einfach zu hoch.
Man könnte argumentieren, dass dieser Unterschied zwischen den beiden Medien deshalb existiert, weil das System, das die »Pixel« im Bewusstsein erzeugt, dasselbe System ist, das auch versucht, sie zu entdecken. Natürlich gibt es im kontinuierlichen Fluss der Informationsverarbeitung im Gehirn in Wirklichkeit nichts, was einzelnen Bildpunkten ähnelt. Könnte es nicht dennoch sein, dass unsere Unfähigkeit, die Buchwahrnehmung in einzelne Elemente zu zerlegen, durch etwas anderes verursacht wird als einfach die hohe Geschwindigkeit der Integration im Gehirn? Selbst wenn unser Gehirn viel langsamer arbeitete (wenn es beispielsweise nur Zeitspannen von einem Jahr erkennen könnte, aber keine kürzeren), würden wir immer noch nicht in der Lage sein, diese »Pixel« des Bewusstseins zu entdecken. Wir würden nach wie vor ein nahtloses Fließen der Zeit wahrnehmen, weil die bewusste Arbeitsweise unseres Gehirns nicht ein einziges, einförmiges Ereignis ist, sondern eine enorm vielschichtige Kette von Ereignissen, innerhalb derer verschiedene Prozesse eng miteinander verkoppelt sind und die ganze Zeit in Wechselwirkung miteinander stehen. Das Gehirn erzeugt etwas, das manchmal auch als höherstufige Repräsentationen bezeichnet wird. Wenn Sie Ihre Aufmerksamkeit auf die Wahrnehmungeines visuellen Gegenstands (wie dieses Buchs) richten, dann gibt es mindestens einen Vorgang zweiter Ordnung (nämlich die Verarbeitung durch die Aufmerksamkeit), der einen Vorgang erster Ordnung – in diesem Fall die visuelle Wahrnehmung – zu seinem Gegenstand macht. Wenn der Vorgang erster Ordnung – der Vorgang, der den gesehenen Gegenstand erzeugt, das Buch in Ihrer Hand – seine Informationen in einem kleineren Zeitfenster integriert als der Vorgang zweiter Ordnung (nämlich die Aufmerksamkeit, die Sie gerade auf dieses neue innere Modell richten), dann wird der Integrationsvorgang auf der Ebene erster Ordnung selbst durchsichtig oder transparent. Das führt dazu, dass Sie diesen Vorgang an sich nicht mehr bewusst erleben können. Sie sind jetzt notwendigerweise blind für den grundlegenden Konstruktionsvorgang. Transparenz ist also nicht so sehr eine Frage der Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung, sondern eher eine der Geschwindigkeit verschiedener Formen von Verarbeitung (wie etwa Aufmerksamkeit und visueller
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