Der Ego-Tunnel
ein Gehirnzustand. In diesem Fall hätten wir seit Jahrhunderten immer dann, wenn wir über »Qualitäten« und Farberlebnisse gesprochen haben, eigentlich Zustände unseres eigenen Körpers auf falsche Weise beschrieben, eigene innere Zustände, die wir nie wirklich als solche erkannt haben – die Wände des Ego-Tunnels.
Wir könnten dann die These aufstellen, dass wir, wenn uns schon das notwendige Wissen aus der Erste-Person-Perspektive fehlt, Dritte-Person-Kriterien für diese unaussprechlichen Zustände definieren müssen. Wenn es einfach keine passenden phänomenologischen Begriffe gibt, müssen wir stattdessen eben adäquate neurobiologische Konzepte entwickeln. Und wenn wir uns die Hirndynamik genauer anschauen, die dem zugrunde liegt, was die Versuchspersonen später als ihr bewusstes Erleben von Grünheit beschreiben, dann werden wir bestimmt Selbigkeit über die Zeit hinweg entdecken. Im Prinzip können wir objektive Identitätskriterien finden, irgendeine mathematische Eigenschaft, etwas, das gleich bleibt in unserer Beschreibung, die das Erlebnis von Grün, dass Sie gestern hatten, mit dem Erlebnis, das Sie jetzt gerade haben, verknüpft. Und könnten wir dann nicht über unsere inneren Erlebnisse mit Hilfe neurobiologischer Begriffe kommunizieren, indem wir so etwas sagen wie: »StellenSie sich das kartesische Produkt der Mannigfaltigkeit des erlebnismäßigen Grüns und des Möbiusbands der Ruhe vor – also eine sanfte Form von K-314 γ , aber in Bewegung auf Q-512 δ , die gleichzeitig der 372509-dimensionalen Form von irischem Moos im normierten Raum ähnelt«?
Eigentlich mag ich Science-Fiction ganz gerne. Im Prinzip ist ein solches Zukunftsszenario zumindest denkbar, es scheint auf den ersten Blick keine logischen Widersprüche zu enthalten. Sind wir aber wirklich gewillt, die Autorität über unsere eigenen inneren Zustände aufzugeben – jene Autorität, die uns gestattet zu sagen, dass diese zwei Zustände dieselben sein müssen , weil sie sich gleich anfühlen ? Sind wir bereit, diese erkenntnistheoretische Autorität an die empirischen Wissenschaften vom menschlichen Geist zu übergeben? Dies ist der Kern des Problems der Unaussprechlichkeit, und sicherlich wären viele von uns nicht bereit, den Sprung in ein neues Beschreibungssystem zu wagen. Weil die traditionelle Alltagspsychologie nicht einfach nur eine Theorie ist, sondern auch eine lebensweltliche Praxis, könnte es eine Reihe von tieferen Problemen mit Churchlands philosophischer Strategie geben, die er selbst »eliminativen Materialismus« nennt. In seinen eigenen Worten: »Eliminativer Materialismus ist durch die These charakterisiert, dass unsere Alltagskonzeption psychologischer Phänomene eine radikal falsche Theorie ist; eine Theorie, die so fundamentale Defekte aufweist, dass sowohl ihre Prinzipien als auch ihre Ontologie irgendwann schließlich durch eine entwickelte Neurowissenschaft ersetzt werden, statt problemlos auf diese reduziert zu werden.« 18 Churchland besitzt eine originelle und erfrischend andere Perspektive: Wenn wir einfach nur die Idee aufgeben könnten, dass wir überhaupt jemals so etwas wie einen bewussten Geist besessen haben, und damit begännen, mit Hilfe der neuen und viel feinkörnigeren begrifflichen Unterscheidungen, die uns die Hirnforschung anbietet, unsere angeborenen Mechanismen der Introspektion zu trainieren, dann würden wir viel mehr in unserem eigenen Bewusstsein entdecken , wir würden unser inneres Leben bereichern , indem wir Materialisten würden. »Ich möchte deshalb nahelegen«, schreibt er an anderer Stelle, »dass diejenigen von uns,die den Fluss und den Inhalt unseres subjektiven phänomenologischen Erlebens wertschätzen, den Aufstieg der materialistischen Neurowissenschaft nicht mit Ängsten und düsteren Vorahnungen betrachten sollten.« »Ganz im Gegenteil. Mit der Ankunft einer echten materialistischen Kinematik und Dynamik für psychologische Zustände und kognitive Vorgänge wird keine Finsternis anbrechen, in der unser inneres Leben unterdrückt oder verdunkelt wird, sondern ihre Ankunft wird viel eher so etwas wie eine Morgendämmerung sein, in der sich die wunderbare Komplexität unseres inneren Lebens endlich offenbart – und zwar ganz besonders dann, wenn wir die neuen Begriffe auf uns selbst anwenden, bei der direkten, selbstbewussten Introspektion.« 19
Trotzdem würden viele Leute wahrscheinlich nur eine geringe Neigung verspüren, etwas, das vorher
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