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Der Ego-Tunnel

Der Ego-Tunnel

Titel: Der Ego-Tunnel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Metzinger
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Möglichkeit, uns selbst sowohl in gesundem als auch krankem Zustand besser zu verstehen.
    Metzinger : Und was genau ist der Zusammenhang zwischen REM-Schlaf und Traum?
    Hobson : Die Beziehung ist quantitativer, nicht qualitativer Natur. Traumähnliche mentale Aktivität ist auch mit dem Einschlafen (Stadium I) und mit dem Nachtschlaf (Stadium II) korreliert, aber zu allen Nacht- oder Tageszeiten ist die Korrelation im REM-Schlaf am höchsten. Was den tatsächlichen Zusammenhang betrifft, so lautet meine Hypothese, dass Träumen unser subjektivesErleben der Gehirnaktivierung in jedem Schlafzustand ist. Die Aktivierung ist im REM-Schlaf am höchsten. Ebenso die Traumtätigkeit. Ich glaube, dass Träumen und REM-Schlaf unsere subjektiven und objektiven Bezugnahmen auf denselben fundamentalen Prozess im Gehirn/Geist sind. Ich bin durch und durch Monist. Und Sie?
    Metzinger : Ich ebenfalls – ich mochte schon immer Philosophen wie Spinoza, Bertrand Russell oder Herbert Feigl, die neutrale Monisten und davon überzeugt waren, dass die Unterscheidung zwischen physischen und psychischen Zuständen im Grunde recht oberflächlich und eher uninteressant ist. Das für uns Philosophen wichtigere Problem besteht natürlich darin, was genau »durch und durch« heißt. Aber im Moment sind Sie es, der schwierige Fragen beantworten muss! Wie also erklären Sie die Beziehung zwischen dem chaotischen Trauminhalt, der vom Hirnstamm erzeugt wird, und den eher nichtzufälligen, geordneten und scheinbar eine Bedeutung tragenden Aspekten von Träumen?
    Hobson : Vorsicht, Thomas, oder Sie gehen in die »Entweder-oder«-Falle, in die so viele unserer berühmten Kollegen getappt sind. Die Antwort lautet »sowohl/als auch«. Der REM-Schlaf wird vom Hirnstamm erzeugt, während Träumen das subjektive Erleben der Aktivierung des Vorderhirns durch den Hirnstamm im REM-Schlaf ist. Der Vorgang der REM-Erzeugung weist zahlreiche chaotische Merkmale auf, die das Vorderhirn, so gut es kann, zu einer in sich stimmigen Geschichte zu integrieren versucht. Aber das Vorderhirn befindet sich auch in einem anderen Zustand als im Wachsein, was seine Aufgabe schwieriger macht. Das Vorderhirn gibt unter diesen schwierigen Umständen einfach alles, was es kann. Ob man diese Leistung als gut oder als weniger gut beurteilt, hängt davon ab, ob man glaubt, dass der Becher halb voll oder halb leer ist. Beides trifft zu.
    Metzinger : Welche Teile des menschlichen Gehirns sind für das Träumen unbedingt erforderlich? Ohne welche Teile ist es absolut unmöglich, zu träumen?
    Hobson : Was die zweite Frage angeht, existieren empirische Befunde,die eine Antwort erleichtern, aber die erste Frage ist viel interessanter und viel komplexer. Leider lässt sie sich nicht wissenschaftlich beantworten.
    Betrachten wir zunächst die zweite Frage. Der Neuropsychologe Mark Solms fragte dreihundert Schlaganfall-Patienten, ob sie nach ihren Schlaganfällen irgendwelche Veränderungen im Traumerleben festgestellt hätten. Die Patienten berichteten von einem völligen Erlöschen der Traumtätigkeit, wenn ihr Schlaganfall entweder das Operculum parietale oder die tiefe frontale weiße Hirnmarksubstanz beschädigt hatte. Diese Aussagen waren besonders interessant, weil die selektive Aktivierung derselben Hirnregionen in PET-Studien über den REM-Schlaf nachgewiesen werden konnte. Ein weiterer aufschlussreicher Befund sind Berichte darüber, dass die Traumtätigkeit bei Menschen nach einer Lobotomie (einer neurochirurgischen Operation, bei der die Nervenbahnen zwischen Thalamus und Stirnhirn sowie Teile der grauen Substanz durchtrennt werden) erlischt – ein Befund, auf den Solms in der Fachliteratur der 1940er und 1950er Jahre stieß. Vordergründig deuten diese Befunde darauf hin, dass Träumen von der Fähigkeit des Gehirns abhängig ist, emotionale und sensorische Daten zu integrieren, wenn sie offline aktiviert werden. Aber natürlich beantwortet das nicht die erste Frage. Viele andere Hirnregionen sind wahrscheinlich genauso unentbehrlich für die Traumtätigkeit. So muss zum Beispiel das Sehsystem beteiligt sein – und tatsächlich berichteten Solms’ Patienten über den Verlust visueller Bildwelten in ihren Träumen, wenn bei ihren Schlaganfällen die Hinterhauptsrinde geschädigt wurde. Vermutlich ist der Verlust der Traumfähigkeit ein Beispiel dafür, was Norman Geschwind Disconnection Syndrome nannte. Anders gesagt, die geschädigten Areale sind Kreuzungen zerebraler

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