Der Ego-Tunnel
Leitungsbahnen, die, wenn sie geschädigt werden, die normale Wechselwirkung anderer Hirnareale verhindern. Wahrscheinlich aber wird diese Methode, bei der Erkenntnisse über die Funktion von bestimmten Hirnregionen aus der Untersuchung krankheitsbedingter Ausfälle gewonnen werden, nicht die wichtige Rolle desHirnstamms enthüllen, denn Verletzungen, die so weiträumig sind, dass sie zu einem Erlöschen des Traumerlebens führen, sind in der Regel tödlich oder führen zu vegetativen Zuständen, in denen der Patient keine Reaktionen mehr zeigt.
Dieser Ansatz in der Traumforschung ist mit mehreren Problemen behaftet. Da ist zunächst die Tatsache, dass die Antwort auf die zweite Frage nicht die erste Frage beantwortet. Man kann sich zum Beispiel vorstellen, dass das Broca-Zentrum und das Wernicke-Zentrum für die konfabulatorische, erfundene innere Geschichten erzählende Qualität des Traumes recht wichtig sind, aber diese Möglichkeit lässt sich nicht überprüfen, wenn der Patient seine Fähigkeit verloren hat, über Träume zu berichten! Darüber hinaus muss man darauf hinweisen, dass alle Daten Solms’ sich auf Traumberichte beziehen, die nicht mit dem Traumgeschehen gleichgesetzt werden können. In Wirklichkeit erinnern sich die meisten von uns ja kaum oder gar nicht an ihre Träume.
In Solms’ Studien und in den früheren Arbeiten von Cristiano Violani und Fabrizio Dorrichi und von Martha Farah und Mark Greenberg, die zu ähnlichen Schlussfolgerungen über das Operculum parietale gelangten, bemühte man sich nicht, die Hirnaktivität während des Schlafs der Patienten aufzuzeichnen oder sie aufzuwecken, um Traumberichte von ihnen zu erhalten. Diese Kontrollen sind aber wichtig und müssen noch durchgeführt werden. Es ist das Verdienst von Solms und anderen, dass sie den Weg zur neuropsychologischen Erforschung der Traumtätigkeit geebnet haben. Diese Herangehensweise wird uns hoffentlich weitere Erkenntnisse liefern. Einstweilen können wir lediglich feststellen, dass Träumen von der selektiven Aktivierung und Deaktivierung vieler Hirnregionen abhängt einschließlich derjenigen, die, wenn sie geschädigt werden, bei den Betroffenen dazu führen, dass sie nicht mehr von Träumen berichten können.
Metzinger : Was meinen Sie: Welche evolutionäre Funktion hatte das Träumen wahrscheinlich, und wann ist es entstanden?
Hobson : Im Hinblick auf die Evolution und die Funktionsvorteile, diemit dem Besitz eines traumfähigen Gehirns verbunden sind, hege ich sowohl konservative als auch spekulative Ansichten. Nach der konservativen Auffassung gibt es keine Belege dafür, dass Träume überhaupt irgendeinem Zweck dienen. Das heißt, weder das bewusste Erleben von Träumen während ihres Auftretens noch das Abrufen dieser Traumerlebnisse beim Aufwachen hat wahrscheinlich einen Nutzen, zumindest konnte bislang keiner nachgewiesen werden. Ich glaube, wir müssen Owen Flanagans These ernst nehmen, wonach Träume die Spandrillen des Schlafs sind. 16 In seiner radikalsten Version besagt dieses Argument, dass Traumbewusstsein ein Epiphänomen ist, auf das Menschen und andere Säugetiere genauso gut verzichten könnten. Der triftigste Grund für diese Annahme ist die Tatsache, dass wir fast überhaupt keine Erinnerung an die Inhalte unserer Träume haben. Wenn die Traumerinnerung einen Anpassungsvorteil bedeuten würde, könnten wir uns mit Sicherheit besser an Träume erinnern! Aber wenn man Träumen als bewusstes Erleben so betrachtet, dann bedeutet das keineswegs, dass man auch ein gesundes, spekulatives Interesse an der funktionalen Bedeutung eines Gehirns ablehnt, das sich im Schlaf selbst aktivieren kann. Ein solches Gehirn könnte viele Leistungen vollbringen. Dazu gehören die bereits bekannte Verbesserung des motorischen Lernens, die Regulierung von Nahrungs- und Wärmekalorien für die Verwertung der aus der Nahrung gewonnenen Energie für den Baustoffwechsel und die Thermoregulation sowie die Verbesserung der Immunfunktionen. Ich muss mir dieser Funktionen nicht bewusst sein, auch wenn sie für mein Überleben und für meinen Fortpflanzungserfolg unverzichtbar sind.
Hier tauchen nun eine Reihe wichtiger philosophischer Fragen auf, und dazu gehört auch die weitverbreitete Verwechslung von Hirnaktivität mit bewusstem Erleben. Unser bewusstes Erleben im Wachzustand ist ein offensichtlicher Anpassungsvorteil, aber unser bewusstes Erleben im Schlaf hat möglicherweise keinen adaptiven Nutzen. Es mag sogar ein
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